Hamburg klagt in Karlsruhe Ist das Betreuungsgeld verfassungswidrig?

Düsseldorf · Am Dienstag befasst sich das Bundesverfassungsgericht mit der "Herdprämie". Es soll unter anderem darüber befinden, ob das Gesetz die Benachteiligung von Frauen zementiert und damit der Verfassung widerspricht. Bizarr: Das Gesetz verteidigen soll ausgerechnet der Mann, der die Klageschrift vorbereitet hat.

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Verfassungswidrige Benachteiligung von Frauen oder Wahlfreiheit für Eltern? Wohl kaum eine Familienleistung ist bis heute dermaßen umstritten wie das Betreuungsgeld. Am Dienstag prüft das Bundesverfassungsgericht auf Antrag Hamburgs die Prämie.

Das wird interessant, auch weil das Bundesfamilienministerium die Leistung verteidigen muss - obwohl Ministerin Manuela Schwesig (SPD) vor ihrer Amtsübernahme gegen die Leistung war. Das für das laufende Jahr erwartete Urteil dürfte über die Zukunft des Betreuungsgeldes entscheiden.

Die wichtigsten Fakten:

Was ist das Betreuungsgeld? Eingeführt wurde es auf Betreiben der CSU erst nach einem langen und erbittert geführten politischen Streit im August 2013. Die Prämie gewährt denjenigen Eltern 150 Euro pro Monat, die für ihr Kind bis zum dritten Lebensjahr keine öffentlich geförderte Betreuung in Anspruch nehmen.

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Foto: dpa, Jörg Carstensen

Die Argumente der Befürworter Die Anhänger des Gesetzes sehen im Betreuungsgeld die Anerkennung und Unterstützung der erzieherischen Leistung von Eltern. Für die Erziehung von Kindern im privaten Raum habe es bisher kein Geld gegeben, so dass das Betreuungsgeld insoweit eine Förderlücke schließe, heißt es etwa in der Begründung des Gesetzes.

Den Befürwortern geht es aber vor allem um Wahlfreiheit. Für sie gehören Kita-Rechtsanspruch und Betreuungsgeld zusammen. "Der Gesetzgeber hat beides zeitgleich eingeführt und damit deutlich gemacht, dass es die Eltern sind, die entscheiden, wie ihr Kind betreut wird - und nicht der Staat", sagt etwa Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU).

Die Argumente der Gegner Kritiker kanzeln das Betreuungsgeld gerne als "Herdprämie" oder "Fernhalteprämie" ab. Die Leistung schaffe falsche Anreize, halte Frauen länger vom Arbeitsmarkt fern und benachteilige sie daher. Die Forderung nach Wahlfreiheit für Eltern zielt aus ihrer Sicht ins Leere. Sie halten es für rechtlich problematisch, wenn jemand eine staatliche Leistung erhält, nur weil er eine andere staatliche Leistung nicht in Anspruch nehme. Insbesondere die SPD argumentierte, es gebe ja auch schließlich auch keine Opernprämie für die, die nicht in die staatlich subventionierte Oper gehen.

Eine weitere Sorge: Vor allem bildungsferne Familien oder solche mit Migrationshintergrund beziehen das Geld. Doch genau deren Kinder sollten möglichst früh in Kitas gebracht werden, etwa zur Sprachförderung. "Wir wollen, das Kinder in die Kita kommen und Mütter arbeiten", sagt Hamburgs Minister Detlef Scheele (SPD). "Denn eine Kita ist mehr als nur eine Betreuung. Dort findet auch Bildung statt".

Die Klage Hamburg hält die Familienleistung aus mehreren Gründen für verfassungswidrig und hat deshalb Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Der Bund habe gar nicht die verfassungsrechtliche Befugnis für die Schaffung des Betreuungsgeldes, begründet Sozialminister Scheele den Schritt. Weiter sieht er in der Prämie einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie gegen das Familien-und Elterngrundrecht.

Die bizarre Rolle der SPD Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat sich vor ihrer Amtsübernahme stets leidenschaftlich gegen das Betreuungsgeld ausgesprochen. Sie wollte die ungeliebte Prämie noch in den Koalitionsverhandlungen zur Disposition stellen - scheiterte aber. Jetzt muss die SPD vor Gericht die Kröte verteidigen, die sie schlucken musste.

Ihre heimlichen Hoffnungen dürften daher auf dem Verfassungsgericht ruhen. Zur Verhandlung schickt sie ihren Staatssekretär Ralf Kleindiek. Doch Kleindiek ist noch mehr vorbelastet als seine Chefin: Er war zuvor in der Hamburger Justizbehörde tätig und hat die Klage gegen das Betreuungsgeld ausgearbeitet, wechselte anschließend ins Bundesministerium nach Berlin.

Die Verhandlung in Karlsruhe Vorm Bundesverfassungsgericht dürfte es spannend werden: So werden zur Verhandlung am Dienstag neben Kleindiek Hamburgs Sozialminister Scheele und Bayerns Sozialministerin Müller erwartet. Letztere will für den Erhalt der Leistung kämpfen. Außerdem hat der Erste Senat unter Vorsitz von Gerichtsvize Ferdinand Kirchhof Vertreter von mehreren Verbänden als sogenannte "sachkundige Dritte" eingeladen. Darunter sind der Deutsche Familienverband, das Deutsche Jugendinstitut, die Caritas und die Diakonie.

Wann entscheidet das Gericht? Am Dienstag verhandeln die Richter nur. Mit einem Richterspruch noch in diesem Jahr ist aber zu rechnen.

(dpa)
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