CDU/CSU nach der Bundestagswahl Union ohne Eigenschaften

Während bei der CDU Routine herrscht, möchte die CSU ihrem schlechten Wahlergebnis mit einer Neuausrichtung der Partei begegnen. Es könnte die kleine Schwesterpartei sein, die die CDU zur Erneuerung zwingt.

 Herbe Verluste: Seehofer, Merkel. (Archiv)

Herbe Verluste: Seehofer, Merkel. (Archiv)

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Das Gerücht lief nur eine knappe Stunde durchs Regierungsviertel: Die CSU erwäge, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufzukündigen, hieß es. Sollten die Chefs der Schwesterparteien, Angela Merkel und Horst Seehofer, nach zwei Jahren Streit über die Obergrenze und einer verlustreichen Bundestagswahl nun getrennte Wege gehen? Schon in den vergangenen Monaten war immer mal wieder von einer Trennung die Rede. Am Ende kamen beide Seiten aber stets zu dem Schluss, dass machtpolitisch eine Union besser ist, als getrennt zu marschieren.

Noch am Vormittag stimmte der CSU-Vorstand dann zu, erneut eine Fraktionsgemeinschaft mit der CDU zu bilden. Allerdings ist die Kuh damit noch nicht vom Eis. Die CSU fordert eine inhaltliche Erneuerung der Union insgesamt. Bevor die Christsozialen in die Sondierungen für eine Jamaika-Koalition einsteigen, wollen sie ihren künftigen Kurs mit der CDU klären, wie es aus Parteikreisen hieß: "Da geht es darum, was für eine Union wir sein wollen, insbesondere auch eine Partei für die Wert- und Nationalkonservativen."

Bei den Gremiensitzungen der CDU klang das freilich anders. Die Kanzlerin wirkte nach Teilnehmerangaben nachdenklich. Von sich aus thematisierte sie, dass sich viel des Protests auch an ihrer Person manifestierte. Die Mitglieder des Präsidiums und des Vorstands hatten auch die Wahlanalysen auf dem Tisch. Eine Million Wähler sind von der CDU zur AfD gewandert. An die Liberalen haben die Christdemokraten 1,3 Millionen Wähler abgeben müssen.

Diese Zahlen nennt Merkel auch später in ihrer Pressekonferenz. Sie fügt hinzu, sie wolle die Wähler der AfD "durch gute Politik" zurückgewinnen. "Wo Probleme auftauchen, müssen wir sie auch lösen." Diese Sätze sind typisch Merkel: Ein Problem lösen, wenn es sich stellt. Eine neue strategische Gesamtausrichtung hat sie nicht im Blick. Vielmehr soll eine Klausurtagung der Partei nach der Niedersachsenwahl Mitte Oktober reichen, um das zweitschlechteste Ergebnis der CDU zu analysieren.

In der Partei gibt es - mal wieder - zwei Denkschulen, ob dies die richtige Strategie ist. Merkels Vertraute verteidigen den Kurs. Es brauche eine stabile Regierung, und dafür brauche es eine stabile Partei. Personelle Veränderungen, wie beispielsweise ein neuer Fraktionschef oder ein neuer Generalsekretär, würden den eigenen Laden nur destabilisieren.

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Vor dem Hintergrund, dass es am Vormittag noch Gerüchte gab, die CSU könne die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU auflösen, ist die geplante Wiederwahl von Fraktionschef Volker Kauder heute Nachmittag ein gelungenes Signal der Stabilität und ein erster Schulterschluss von CDU und CSU in Richtung einer gemeinsamen Regierung.

Die zweite Denkschule in der Partei sieht das anders. Es sind genau jene Kräfte, die auch während der Zeit der hohen Umfragewerte von SPD-Chef Martin Schulz zu Beginn des Jahres die Kanzlerin drängten, in die Offensive zu gehen. Merkel aber behielt die Nerven und am Ende recht mit ihrer Strategie, der SPD den Punkt zu gönnen und die Umfragewerte sich von alleine wieder drehen zu lassen. Das heißt aber nicht, dass diese Taktik auch in der Frage der Erneuerung der Partei funktionieren wird. "Wir müssen schon das Signal aussenden, dass wir verstanden haben", sagt ein führendes CDU-Mitglied.

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Die CDU wird aufpassen müssen, sich nicht aufzureiben in einem Jamaika-Bündnis mit einer sich auf die Nationalkonservativen besinnenden CSU, einer enorm selbstbewussten FDP und Grünen, die auf ihren linken Parteiflügel Rücksicht nehmen müssen. Sie könnte in einem solchen Bündnis die Partei ohne Eigenschaften werden. Immerhin ist die CDU die einzige Partei, die sich jetzt für Koalitionsverhandlungen bereit macht, die vorab im Wahlkampf keine roten Linien definiert hat. Auf die Frage, was denn die Kernpunkte für die CDU in einem neuen Bündnis seien, erklärte Merkel, dies seien solide Haushaltsführung und innere Sicherheit. CDU-Vizechefin Julia Klöckner wiegelt ab: "Auch die CDU wird nicht um jeden Preis alles mitmachen", sagt sie. Man werde mit allen Parteien außer AfD und Linken reden. Wichtig sei, dass man fair miteinander umgehe.

Am Ende könnte es die kleine Schwester sein, die die CDU zur Erneuerung und zur Neupositionierung zwingt. Die Bayern wählen in einem Jahr ihren Landtag. Schon vor der Bundestagswahl herrschte die Sorge, die CSU könnte die absolute Mehrheit verlieren. Das Wahlergebnis von Sonntag lässt die Bayern nun Schlimmstes befürchten. Ihre Analyse ist, dass sie die rechte Flanke vernachlässigt haben. Die CSU schmerzt nicht nur das Wahlergebnis. Sie schmerzt auch, dass sie das Vermächtnis von Franz Josef Strauß nicht erfüllen konnte, wonach rechts der Union keine demokratisch legitimierte Kraft entstehen dürfe.

In ersten Analysen kamen die Christsozialen am Montag in ihren langen Gremiensitzungen zu dem Schluss, dass sie sich wieder stärker auf ihre konservativen Wurzeln besinnen müssen. Für die Koalitionsverhandlungen bedeutet dies, dass diese besonders langwierig werden dürften. Grüne und Liberale werden mit einer solchen Neuaufstellung wenig anfangen können.

Am Ende ihrer Pressekonferenz wird die Kanzlerin noch auf ihre bevorstehende Reise zum Digitalgipfel nach Tallinn in Estland angesprochen. Die versammelten Staatschefs würden sicherlich gerne wissen, wann Deutschland denn eine neue Regierung habe und welche Antwort Merkel dann geben wolle. Die Kanzlerin gibt mit einer Mischung aus heiter und schnippisch zurück, dass sich diese Frage doch erst einmal an den Niederländer Mark Rutte richten müsse. Die Holländer hatten im März gewählt - und immer noch keine Regierung.

(qua)
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