Pretzell und Petry verlassen AfD Erschütterung oder Erneuerung?

Düsseldorf · Das Ehepaar Marcus Pretzell und Frauke Petry verlässt die AfD. Den Landesverband Nordrhein-Westfalen könnte ihr Austritt sogar stärken.

Marcus Pretzell und Frauke Petry werden lange kalkuliert haben. Wie viele Parteifreunde haben sie noch hinter sich? Wer davon würde ihnen folgen? Und wann ist der beste Zeitpunkt gekommen, zu gehen? Dass sie etwas tun, und dass sie damit besser bis nach der Bundestagswahl warten, war allemal absehbar.

Wie es Parteichefin Petry auf Bundesebene erging, war seit einiger Zeit auch auf Landesebene beim NRW-Vorsitzenden spürbar: Beide verloren parteiintern immer mehr Rückhalt. Und das nicht nur, weil sie sich inhaltlich für einen gemäßigteren Kurs einsetzten, der vielen rechtsnationalen AfDlern zu milde erschien. Das Ehepaar Petry/Pretzell hat es sich offenbar auch auf persönlicher Ebene mit vielen einst Vertrauten verbaut.

Als am Dienstagmittag die Nachricht durchsickerte, dass Pretzell die NRW-Fraktion und die Partei verlassen will, liefen bei vielen AfDlern die Telefone heiß. Nachrichten wie "Es ist vollbracht" gingen in Chatgruppen herum, hieß es aus Fraktionskreisen. Viele seien erleichtert, dass mit Petry und Pretzell "endlich diejenigen diese Partei verlassen, die so sehr für Zwietracht gesorgt haben". Der Zuspruch für eine AfD ohne die beiden sei — zumindest in NRW — riesig.

Schon auf der Wahlparty am Sonntag in Berlin spielten die Noch-Bundesvorsitzende und ihr Ehemann, immerhin Vorsitzender des Mitglieder- und einwohnerstärksten AfD-Verbands, keine Rolle. Gegen 20 Uhr, zwei Stunden nach dem großen Jubel-Moment, ließ sich Petry auf der Party sehen, ohne Begrüßung oder irgendeine Art Ansprache als Parteichefin. 40 Minuten später verließ sie den Club durch den Hinterausgang, wo Marcus Pretzell sie abgeholt haben soll.

Der Wahlabend muss vor allem Petry gezeigt haben: Die AfD braucht weder ihr Gesicht, noch ihre gemäßigten Töne, um ein satt zweistelliges Ergebnis einzufahren. Im Gegenteil, die Parolen und Provokationen von Alexander Gauland und Alice Weidel im Wahlkampf haben der Partei noch Aufwind gegeben. Die Warnungen von Petry, bürgerliche Wähler seien durch Skandale und schrille Töne abgeschreckt, war so falsch wie vergebens: 20 Prozent aller Wähler im Osten Deutschlands können nicht alle Nazis sein.

Trotzdem begründet auch Pretzell seinen Austritt mit der rechtslastigen Entwicklung der Partei. Er glaube nicht daran, diese noch umzudrehen, soll er in der Fraktionssitzung gestern gesagt haben. Sein Landtags- sowie sein Europamandat will er allerdings behalten. Für den Fraktionsvorsitz könnte sein Stellvertreter Markus Wagner nachrücken, der dies bereits angeboten hat.

Die Sitzung habe keine zwei Stunden gedauert, berichten Fraktionsmitglieder. Es habe auch keine ernsthaften Versuche gegeben, Pretzell von seiner Entscheidung abzubringen. Er sei damit ohnehin nur dem Landesparteitag zuvorgekommen. In zwei Wochen in Wiehl bei Gummersbach stehen turnusgemäß Neuwahlen des Landesvorstands an. Viele AfDler hatten Marcus Pretzell dort ohnehin keine Chancen mehr eingeräumt. Zudem seien Abwahlanträge gegen seinen Fraktionsvorsitz in Vorbereitung gewesen, heißt es aus Parteikreisen.

Frauke Petry ist mit ihrem Austritt einer ähnlichen Situation ausgewichen: Anfang Dezember wird die Partei in Hannover auch ihren Bundesvorstand neu wählen — dem Petry aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr angehört hätte.

Schlimmstenfalls hätte ihr ein Bernd-Lucke-Szenario gedroht. Der damalige Parteichef, der die AfD ebenfalls auf Kurs halten wollte, wurde auf dem berüchtigten Parteitag in Essen vor zwei Jahren buchstäblich von der Bühne gebuht. Er verließ die Partei mit einigen hundert Kollegen und gründete eine neue Partei, mit der er in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwand.

Drohen Petry und Pretzell ein ähnliches Schicksal? Der Noch-Parteichefin folgten bislang nur zwei sächsische Fraktionskollegen, dem NRW-Chef sogar nur einer. Die große Austrittswelle ist nicht absehbar. Viele Sympathien haben sie verspielt, nicht zuletzt bei den Wählern, die Frauke Petry ein Direktmandat beschert haben — als Politikerin der AfD.

Marcus Pretzell und Frauke Petry - Fotos des Politiker-Paars
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Politiker-Paar Frauke Petry und Marcus Pretzell

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Foto: dpa, a gfh

"Frau Petry hat sich selbst in den Kopf geschossen", sagt ein AfD-Mitglied. Hätte sie sich im November abwählen lassen, wären ihr mehr Leute beigesprungen. Ähnlich hätte es bei Pretzell sein können. Durch den Abgang so kurz nach der Wahl fühlten sich Wähler wie Kollegen aber vor allem eins: betrogen.

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