"Deutschlandtag" in Dresden Merkel und die Nussknacker - wie die Union einen neuen Weg sucht

Die Junge Union hat in Dresden kräftig Dampf abgelassen. Bis zu einer Rücktrittsforderung an die Kanzlerin. Merkel lässt sich nicht beirren, geht aber auf die Basis zu. Für das Unions-Krisentreffen am Sonntag im Kanzleramt stellt sie Großes in Aussicht: Die Quadratur des Kreises.

 JU-Chef Paul Ziemiak hat der Kanzlerin einen Nussknacker überreicht.

JU-Chef Paul Ziemiak hat der Kanzlerin einen Nussknacker überreicht.

Foto: afp

Angela Merkel gibt sich Mühe. Sie erklärt, räumt ein, beschwört, lobt, ermutigt. Sie hört sich beim "Deutschlandtag" in Dresden harsche Kritik des Parteinachwuchses an. Die Union müsse wieder konservativer werden und brauche unverbrauchte Köpfe, Diego Faßnacht aus Bergisch Gladbach legt ihr den Rücktritt nahe. Merkel antwortet Punkt für Punkt. Und um es vorweg zu nehmen: Sie will bleiben.

Selten hat ein Kongress der Jungen Union (JU) eine solche direkte und besonnene Auseinandersetzung mit der Kanzlerin erlebt, die seit zwölf Jahren das Land regiert und seit 17 Jahren die CDU führt. Phasenweise ist es in dem gläsernen Internationalen Congress Center in der sächsischen Landeshauptstadt mit den mehreren hunderten Delegierten ganz still. Auch sie hören zu. Und jubeln.

Allerdings bejubelt die JU so viele Positionen und Personen der Union, dass am Ende keine klare Linie erkennbar ist. Wie Merkel am Samstag, war am Vorabend auch Finanzstaatssekretär Jens Spahn beklatscht worden. Der hatte der Chefin indirekt aber ordentlich eingeheizt. In den CDU-Gremien werde nicht offen gesprochen, dabei stehe doch ein "Elefant im Raum" und der heiße Flüchtlingspolitik und habe große Probleme.

"Wir müssen lernen, wieder mal richtig miteinander zu ringen", ruft Spahn unter dem Beifall der Delegierten. Er spricht laut und emotional. Er will eine andere Union - und nach oben. Nach ganz oben. Staatssekretär reicht ihm nicht. Vermutlich ist er bald Bundesminister. Oder Generalsekretär - wenn Merkel ihn lässt. Sie vertraut ihm nicht richtig. Es war Spahn, der beim vorigen Parteitag die Doppelte Staatsbürgerschaft gegen ihren Willen ins Wanken brachte. So etwas merkt sich Merkel. Zum Generalsekretär will sie blindes Vertrauen haben und keine bösen Überraschungen mit ihm erleben.

Amtsinhaber Peter Tauber hat sich daran gehalten. Die Delegierten buhen zu seiner Begrüßung. Das Konrad-Adenauer-Haus - sein Amtssitz - habe "den Knall nicht gehört" und mit Arroganz und Ignoranz auf das schlechte Wahlergebnis reagiert und nehme Millionen von AfD-Wählern nicht ernst, sagt Faßnacht, der zur JU Bergisch Gladbach gehört.

Merkel revanchiert sich bei Spahn. In den Gremien werde sehr wohl offen gesprochen. Noch wichtiger sei allerdings, die Probleme zu lösen. Merkel, die Nüchterne. Und überhaupt, was bedeute das, "frische Köpfe". Die 63-Jährige sagt: "Nun ist der neue Kopf an sich noch nicht die Lösung des Problems, wenn ich das so bescheiden sagen darf. (...) Ich bin auch ein alter Kopf und ich weiß immer nicht genau, wie weit mich das betrifft. Ich gehe trotzdem davon aus, dass ich weiterhin einen Regierungsauftrag habe."

Und auf Faßnachts Frage nach ihrem Rücktritt: "Ich fühle mich demokratisch legitimiert." Immerhin ist die Union bei allen Einbußen mit Abstand stärkste Kraft geworden. Sie betont noch, dass Spahn nicht Finanzstaatssekretär sei, weil sie ihn verstecken wollte. Aber sie geht auf die Basis zu und unterstützt die Forderung der JU nach einem Bundesparteitag zur Abstimmung über den angestrebten Koalitionsvertrag mit FDP und Grünen. Das ist neu. Und sie gibt zu: "Wir können unterscheidbarer werden."

Unterscheidbar sind die JUler selbst auch. Um ein Haar wäre in der Nacht zum Samstag bei der Debatte über die "Dresdner Erklärung" die zentrale Forderung gekippt worden, eine "klare Begrenzung" der Zuwanderung zu fordern. Ein Änderungsantrag war knapp durchgegangen, der stattdessen "Regulierung" - also die weichere Variante - in dem Papier verankern wollte. Dann ließ die JU-Führung neu abstimmen. Schriftlich. Die Änderung wurde wieder gekippt. "Klare Begrenzung" hört sich zwar nach Obergrenze an. Aber von Obergrenze will die Junge Union nicht sprechen. Auch Spahn nicht.

Das tiefe Zerwürfnis mit CSU-Chef Horst Seehofer über die von ihm unerbittlich geforderte Obergrenze von 200.000 neu ankommenden Flüchtlingen pro Jahr soll nun am Sonntag im Kanzleramt in einer Spitzenrunde besprochen werden. In der CSU wird nicht ausgeschlossen, dass das scheitert. Merkel sagt dazu dies: "Es mutet wie die Quadratur des Kreises an. Aber mit etwas gutem Willen sollte es gehen." Sie werde alles in ihrer Macht stehende tun, dass sich keiner "verleugnen" müsse und das Land und die Union zugleich einen Schritt vorankomme. Merkel hält eine Obergrenze für verfassungswidrig.

Ein bayerischer Delegierter findet, Neuwahlen wären besser als die jetzt angestrebte Jamaika-Koalition. Merkel mahnt: Mit dem Wählervotum spielt man nicht. Die SPD sei übrigens "auf Bundesebene auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig". Die Union habe nun die "irrsinnige Aufgabe", die Menschen zu erreichen.

Das geht bei ihrem Besuch in Dresden zum Teil schon mal schief. Ein paar Rentner, Hartz-IV-Empfänger und Bürger, die sich abgehängt fühlen, sind zum Kongresszentrum gekommen. Sie gehören nicht zu "Pegida", die laut JU-Chef Paul Ziemiak eigentlich demonstrieren wollte. Sehr viele bewaffnete Polizisten drängen diese Leute so weit zurück, dass die Bürger, darunter eine Rollstuhlfahrerin, weder Merkel ankommen sehen noch von der Kanzlerin gesehen werden. Während des Wahlkampfes in Sachsen konnten Hunderte Anhänger von AfD und NPD der Kanzlerin hingegen erstaunlich nahe kommen und sie übelst beschimpfen.

Einer sagt: "Wir wollen den Dialog. Wir wollen reden. Aber die wollen nicht mit den kleinen Leuten sprechen." Ein anderer ist unbemerkt an der Veranstaltungshalle stehen geblieben und schreit bei Merkels Ankunft: "Sie sind eine Schande." Er macht den Dresdnern, die von den Polizisten - die auch nur ihre Anweisungen hatten - aus dem Blickfeld gedrängt wurden, alles kaputt. Denn nun werden sie in einen Topf mit den Schreihälsen geworfen. "Es ist zum Verzweifeln", sagt einer. Ihre Namen wollen sie alle nicht der Presse geben. Angeblich zu gefährlich. Sie wollen mit Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) an einen Runden Tisch.

Aber Tillich hat im Moment andere Sorgen. Der langjährige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) hat ihn nach dem schlechten Bundestagswahlergebnis (knapp hinter der AfD) beschimpft. Sein Lebenswerk sei in Gefahr, sagt Biedenkopf über seine politische Karriere. Ein besserer Landesregierungschef wäre Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Tillich, Spahn und Merkel bekommen von Ziemiak zum Abschluss ein Geschenk: Jeweils einen Nussknacker. Für die vielen Nüsse, die die Union auf Landes- und Bundesebene nun zu knacken hat, die härteste davon schon am Sonntag: Der Streit zwischen Merkel und Seehofer um die Obergrenze. Die Quadratur des Kreises.

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