Türkei Bundestagsfraktionen: Massaker an Armeniern war Völkermord

Bonn · Lange wurde um die richtigen Worte gerungen: Nun will die Regierungskoalition die Massenmorde an Armeniern vor hundert Jahren doch als Völkermord bezeichnen.

 Türkische Soldaten posieren vor gehenkten Armeniern in Alep, 1915.

Türkische Soldaten posieren vor gehenkten Armeniern in Alep, 1915.

Foto: AFP

Der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Franz Josef Jung (CDU), und sein SPD-Amtskollege Rolf Mützenich erklärten am Montag in Berlin, die Spitzen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion hätten sich auf einen gemeinsamen Antrag zur Erinnerung an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren verständigt. Sie wollten ihn am Dienstag den Fraktionen vorlegen.

"In dem Antrag wollen wir darauf hinweisen, dass im Auftrag des damaligen jungtü?rkischen Regimes am 24. April 1915 im osmanischen Konstantinopel die planmä?ßige Vertreibung und Vernichtung von u?ber einer Million ethnischer Armenier begann", teilten Jung und Mützenich mit. "Ihr Schicksal steht beispielhaft fü?r die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Sa?uberungen, der Vertreibungen und der Vö?lkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist."

Bisher hatte die Koalition den Begriff im Resolutionsentwurf auf Druck der Bundesregierung nur in der Begründung verwendet, nun soll er Jung zufolge in den Haupttext rücken. Zuvor hatte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Zurückhaltung der Bundesregierung verteidigt. Es müsse über den Tag des Gedenkens hinausgedacht werden. Zugleich ging der Außenminister einen Schritt auf die Verfechter des Begriffs "Völkermord" zu.

Steinmeier sagte der "Süddeutschen Zeitung", er habe Verständnis für das Drängen auf den Begriff Völkermord. "Man kann das, was damals geschehen ist, in dem Begriff des Völkermordes zusammenfassen wollen", sagte er. Er könne die Gründe dafür und die Gefühle dazu gut verstehen. Zugleich erklärte Außenminister allerdings, er sei in Sorge, dass eine immer aufgeladenere Debatte den Beginn eines ernsthaften Dialogs zwischen Türken und Armeniern "erschweren oder gar unmöglich machen" könnte.

Jung wies mögliche Proteste der türkischen Regierung zurück: Geschichtliche Aufarbeitung sei ein Beitrag zur Versöhnung. "Wir wollen, dass die Blockade der letzten Jahre überwunden wird und es zwischen Armeniern und der Türkei wieder zu einem Versöhnungsprozess kommt." Jung rechnet damit, dass auch Bundespräsident Joachim Gauck am Donnerstag bei seiner Rede das Wort "Völkermord" verwenden wird.

Im Streit um die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren geht die Türkei einen Schritt auf die Nachfahren zu. Der osmanischen Armenier werde am kommenden Freitag mit einer religiösen Zeremonie im Armenischen Patriarchat in Istanbul gedacht werden, hieß es in einer Mitteilung von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am Montag. "Mit Respekt gedenken wir ein weiteres Mal der osmanischen Armenier, die bei den Deportationen 1915 ihr Leben verloren, wir teilen den Schmerz ihrer Kinder und Enkel." Die Türkei wehrt sich dagegen, die Massaker einen Völkermord zu nennen, wie es nun auch der Bundestag tut.

Der Verfolgung zwischen 1915 und 1918 im Osmanischen Reich fielen bis zu 1,5 Millionen Armenier zum Opfer. Am Freitag steht anlässlich des 100. Jahrestages eine Bundestagsdebatte zum Gedenken an die Gräueltaten auf der Tagesordnung. Am Abend zuvor wollen die Kirchen in einem ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom an die Ereignisse erinnern. Im Anschluss daran soll Bundespräsident Joachim Gauck reden.

(KNA/dpa)
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