Letzte Rede im Bundestag Lammert verlässt "Herz der Demokratie"

Berlin · In seiner letzten Rede im Parlament kritisiert Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), im Bundestag werde zu häufig geredet und zu wenig debattiert. Für diese finale Sitzung vor der Wahl galt das allerdings nicht.

Als Norbert Lammert nach knapp 20 Minuten seine letzte Rede im Bundestag beendet hat, erheben sich die Abgeordneten aller Fraktionen und spenden einen langen, warmen Applaus. Der frühere Linken-Fraktionschef Gregor Gysi lobt den CDU-Mann als "Präsident für alle Abgeordneten". Er sei nie parteiisch und nie der verlängerte Arm irgendeiner Koalition gewesen.

Lammert selbst bleibt sich in seiner letzten Rede treu, er hält die Prinzipien der Demokratie und des Parlamentarismus hoch. Den Bundestag nennt er das "Herz der Demokratie". Der sonst so streng und nüchtern wirkende 68-Jährige spricht leiser als gewohnt - Wehmut schwingt in seinen Worten mit. Offensichtlich sorgt er sich auch um die Veränderungen im Bundestag, die mit dem wahrscheinlichen Einzug der AfD nach dem 24. September verbunden sind. Der Bundestag solle sich die Fähigkeit und Bereitschaft erhalten, "den Konsens der Demokraten gegen Fanatiker und Fundamentalisten für noch wichtiger zu halten" als den Wettbewerb der Parteien, mahnt er.

Lammert selbst hat auf seine Art Vorsorge getroffen. Er ließ die Geschäftsordnung des Bundestags dahingehend ändern, dass vorerst kein AfD-Politiker Alterspräsident werden kann. Der Alterspräsident hat das Recht, die erste Sitzung des Bundestags in einer neuen Wahlperiode zu eröffnen - feste Regeln für Länge und Inhalt seiner ersten Rede gibt es nicht.

Lammert, der mit dem Ende dieser Wahlperiode 37 Jahre im Bundestag gesessen hat, ist so lange Bundestagspräsident wie Angela Merkel (CDU) Kanzlerin - seit 2005. Seine Präsidentschaft erfüllte er mit einer Mischung aus "Witz, Ironie und Charme", wie Thomas Oppermann befindet. Ein wenig Spott zum Abschied verkneift sich der SPD-Fraktionschef nicht und meint in Anspielung auf Lammerts rhetorische Fähigkeiten: "Sie haben die Regierungserklärung oft miterledigt" - dies sei nicht immer zur Freude aller in der Unionsfraktion geschehen. Wohl aus diesem Grunde habe er auch den Beinamen "der Unfehlbare" erhalten.

Lammert, dem diese Spitze aus seiner eigenen Fraktion bekannt sein wird, nimmt die Worte Oppermanns ungerührt hin. Solche Anwürfe stören ihn nicht, wenn er die Prinzipien der Demokratie verteidigt. So stellt er auch in seiner letzten Rede fest, bei selbstkritischer Betrachtung müsse man einräumen, "dass in der Regel hier im Hause immer noch zu häufig geredet und zu wenig debattiert wird".

Dass dies an diesem Vormittag gänzlich anders läuft, ist nicht unbedingt Lammerts Kritik, sondern sicherlich der bevorstehenden Wahl geschuldet. Während Kanzlerin Merkel die Erfolge der großen Koalition rühmt, schicken die Sozialdemokraten immer wieder störende Zwischenrufe ab. "Freuen Sie sich doch mit uns", fordert sie die SPD freundlich auf. Für die Sozialdemokraten, die in Umfragen gut 15 Prozent hinter der Union liegen, muss das höhnisch klingen. Als SPD-Generalsekretär Hubertus Heil tönt, dass die Bafög-Reform nur auf Druck der SPD geschehen sei, wird auch Merkel scharf im Ton: "Gegen meinen Willen und den Willen der Unionsfraktion konnten Sie in diesem Parlament nichts durchsetzen."

Für einen weiteren Schlagabtausch sorgt das Thema Verteidigungsausgaben. Merkel eröffnet, indem sie sich gegen die Behauptung der SPD zur Wehr setzt, sie wolle eine Steigerung des Wehretats um 30 Milliarden Euro. Vielmehr zitiert sie die Worte von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, der eine Erhöhung von drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr genannt habe. "Wenn meine Rechenkünste ausreichen", erklärt die Physikerin süffisant, könne damit das Ziel erreicht werden, rund zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben.

Merkel verweist auch auf den Beschluss der Nato, dass alle Mitgliedstaaten zwei Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben sollten. "Selbst wenn Sozialdemokraten das mitgetragen haben, der Beschluss ist doch irre", kontert Außenminister Sigmar Gabriel (SPD).

In diesem Wahlkampf ohne klare Koalitionspräferenzen teilen in der letzten Bundestagsdebatte alle gegen alle aus. Oppermann wettert gegen Merkel. Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht knöpft sich Union und SPD vor. Und Grünen-Chef Cem Özdemir warnt vor dem Einzug der AfD. Die sei keine Alternative, sondern eine "Schande für Deutschland".

(qua)
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