Bundesparteitag der Grünen "Die letzte Bastion für Klimaschutz und Humanität"

Auf ihrem Bundesparteitag feiern die Grünen ihre neue Einigkeit. Die Enttäuschung über das Scheitern der Jamaika-Koalition ist groß. Doch die Öko-Partei sagt sich: Jetzt erst recht für Klimaschutz und Humanität.

 Die Bundestagsvizepräsidentin von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, spricht auf dem Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen.

Die Bundestagsvizepräsidentin von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth, spricht auf dem Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen.

Foto: dpa, xsrhi

Es ist ein wenig paradox. Cem Özdemir ist eigentlich ein Parteichef auf Abruf. Immer wieder hat er erklärt, im kommenden Jahr nicht nochmals als Parteivorsitzender anzutreten, zuletzt in einem Interview mit der "taz", das gerade erschien. Doch auf dem Berliner Grünen-Bundesparteitag ist es Özdemir, der den Delegierten nach der Enttäuschung über die am vergangenen Sonntag gescheiterten Jamaika-Sondierungen Mut für die Zukunft macht: "Sonntag ist nicht alle Tage, auf die Grünen in Deutschland kann man zählen, keine Frage!"

Die vierwöchigen Sondierungen mit Union und FDP haben die Grünen zusammengeschweißt. Selten machte die Partei einen so geschlossenen Eindruck. Gemeinsam sind sie enttäuscht und frustriert über das Scheitern von Jamaika und der verpassten Klimaschutz-Chance, gemeinsam empören sie sich über den Egoismus der FDP, die das Bündnis platzen ließ. Während der Sondierungsphase ließen sich Parteilinke und Realo-Politiker nicht durch Provokationen von FDP und CSU auseinanderdividieren. Auf dem Parteitag sind die Kritiker, die zu viele Zugeständnisse an Union und FDP vor allem in der Flüchtlingspolitik anprangern, eindeutig in der Minderheit.

Vier weitere Jahre Opposition

Nun wollen die Grünen diese neue Einigkeit in die Zukunft retten - möglicherweise auch in eine schwarz-grüne Minderheitsregierung, an die allerdings die wenigsten glauben. Vier weitere Jahre Opposition stehen wohl vor den Grünen, denn die große Koalition liegt in der Luft.

Mit einer Bühnen-Zeremonie feiern die Grünen ihr Sondierungsteam, aus dem jedes einzelne der 14 Mitglieder auf dem Parteitag das Wort ergreift, um die neue Einigkeit zu beschwören. Ex-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt macht deutlich, dass sie die Grünen-Fraktion auch in der Zukunft weiter anführen will. Ihr, nicht Özdemir, kommt die Aufgabe zu, die Leistung jedes einzelnen im Sondierungsteam mit persönlichen Worten zu würdigen. Für den unbestrittenen Chef des linken Flügels, Grünen-Urgestein Jürgen Trittin, der 2013 noch einer derjenigen gewesen sein soll, der Schwarz-Grün platzen ließ, findet sie schlichte Sätze. "Jürgen, du hast gezeigt, du willst diesen Weg mit uns gehen. Dafür danken wir dir", sagt Göring-Eckardt.

Özdemir steht schweigend daneben. Ob er den Weg tatsächlich für einen Nachfolger an der Parteispitze freimachen wird, ist zwar noch nicht endgültig sicher. Denn hinter den Kulissen wird Özdemir trotz seiner öffentlichen Absagen bearbeitet: Viele wollen ihn weiterhin an der Parteispitze sehen. Und noch hält sich sein größter Konkurrent bedeckt. Schleswig-Holsteins Vize-Regierungschef Robert Habeck wartet ab.

Für ihn wollten die Grünen eigens eine Lex Habeck schaffen: Ein Antrag sah ursprünglich vor, die Regelung außer Kraft zu setzen, dass ein Landesminister nicht gleichzeitig Mitglied des Bundesvorstands werden darf. Doch dieser Antrag wurde am Samstag wieder zurückgezogen. Habeck hatte signalisiert, dass er nicht Parteivorsitzender werden wolle, wenn andere Grüne als Teil einer Bundesregierung deren Politik maßgeblicher bestimmen würden als ein Parteichef, der nicht Mitglied der Regierung wäre.

Es ist anders gekommen, und Habecks Motivation dürfte deshalb nun zwar deutlich gestiegen sein. Doch da der Antrag zur Änderung der Satzung nicht zur Abstimmung kam, könnte Habeck auf dem nächsten Parteitag im Januar rechtliche Probleme bekommen, wirklich zum Parteichef gewählt werden zu können, wenn er gleichzeitig sein Umweltministeramt in Schleswig-Holstein behalten möchte. Damit könnten die Chancen für den Europaparlamentarier Sven Giegold oder auch den Bundesgeschäftsführer Michael Kellner gestiegen sein. In seiner Rede auf dem Parteitag deutete Habeck an, für den Parteivorsitz zur Verfügung zu stehen.

Doch so weit ist es noch nicht. Ob der nächste Grünen-Parteitag im Januar wie geplant stattfindet, ist noch offen. Özdemir will so lange an Bord bleiben, bis endgültig klar ist, dass es keine Neuwahlen geben wird. Gibt es sie, will er gemeinsam mit Göring-Eckardt wieder als Spitzenkandidat antreten. Und noch ist dieser Parteitag Özdemirs große Bühne. Sie lieben ihn nicht, aber sie wissen, was sie an ihm haben: Ihren besten Redner und einen erfolgreichen Wahlkämpfer, der mitgeholfen hat, den Grünen mit 8,9 Prozent bei der Bundestagswahl das zweitbeste Ergebnis überhaupt zu bescheren.

"Erst das Land, dann die Partei!"

"Für uns gilt nicht die Parole: Erst die Partei, dann das Land. Bei uns heißt es umgekehrt: Erst das Land, dann die Partei!", gibt Özdemir für diesen Parteitag den Ton vor. Die Grünen hätten Verantwortung gezeigt, die FDP nicht. Im Bundestag sei seine Partei die "letzte Bastion" für Klimaschutz, Humanität und Weltoffenheit. Wesen der Demokratie seien Kompromisse. "Wenn Christian Lindner Kompromisse für eine Demütigung hält, dann fehlt es ihm offensichtlich an der nötigen Demut vor den Aufgaben, die manchmal größer sind als man selber", sagt der Grünen-Vorsitzende. "Der Rückzug der FDP war nicht inhaltlich, sondern taktisch begründet. Das müssen die Menschen wissen", sagt Özdemir. Er habe sich auf dem Balkon der Berliner Parlamentarischen Gesellschaft, von dem die Sondierer in den vergangenen Wochen so oft gewunken haben, gefragt, "ob ich nicht lieber eine Hanfpflanze neben mir haben wollte" als so manchen Vertreter der anderen Parteien. Sozialliberalen Wählern, die den nationalen Kurs Lindners nicht mitgehen wollten, sollten die Grünen künftig "ein Angebot" machen.

So sieht der Versuch aus, trotz des Jamaika-Fiaskos kämpferisch zu bleiben. Der Potsdamer Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber bescheinigt den Grünen, im Bundestag die einzige Partei zu sein, die noch bereit sei, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum menschengemachten Klimawandel anzuerkennen. Die Partei quittiert sein Lob mit stolzem Jubel. Die Erfahrung und Erkenntnis, dass Union und FDP sogar die Klimaziele wieder infrage stellen wollten, schließen bei den Grünen die Reihen. Kritikerinnen wie die Kreuzberger Parteilinke Canan Bayram, die dem Sondierungsteam zu große Zugeständnisse in der Flüchtlingspolitik vorwirft, werden nur von einer Minderheit unterstützt.

Eigentlich sollte der Parteitag nach den Jamaika-Sondierungen die Aufnahme echter Koalitionsverhandlungen mit Union und FDP beschließen. Die Grünen waren nah dran. Dass es jetzt nicht zu einer großen Koalition kommt, glauben auf dem Parteitag die wenigsten. Es gibt zwar einige Anträge, offen für eine schwarz-grüne Minderheitsregierung zu sein, doch im Grunde wissen die Grünen, dass sich Angela Merkel darauf nie einlassen würde. Özdemir wird die nächsten vier Jahre voraussichtlich als einfacher Bundestagsabgeordneter auf der Oppositionsbank verbringen - wenn er es sich nicht doch noch anders überlegt.

(mar)
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