U-Ausschuss im Landtag Amri hätte laut de Maizière verhaftet werden können

Düsseldorf · Bundesinnenminister de Maizière hat als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss zum Fall Anis Amri ausgesagt. Dabei kommt er zu einem ganz anderen Schluss als der Sonderermittler Bernhard Kretschmer.

 Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor dem Untersuchungsausschuss in Düsseldorf.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor dem Untersuchungsausschuss in Düsseldorf.

Foto: dpa, fg fpt

Um 14:01 Uhr betritt Thomas de Maizière den Saal. Der Bundesinnenminister begrüßt jeden Fraktionssprecher per Handschlag, lächelt freundlich in die Runde. De Maizière wird darüber belehrt, dass er vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss die Wahrheit sagen muss. Dann gibt er seine persönlichen Daten an: Er sei 63 Jahre alt, Jurist, zurzeit Bundesinnenminister des Inneren. Dienstort sei "überwiegend Berlin".

De Maizière ist am Dienstag als Zeuge geladen, er soll vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags (PUA) aussagen. Der Ausschuss dient der Aufklärung des Weihnachtsmarktattentats in Berlin. Im Dezember starben dabei zwölf Menschen, mehr als 60 wurden verletzt.

In einer rund 40-minütigen Erklärung, die er seiner Vernehmung voranstellt, kommt er zu einer überraschend eindeutigen Einschätzung: Es stelle sich die Frage, warum der islamistische Attentäter Anis Amri "spätestens ab Ende Oktober noch frei herumlief und nicht in Abschiebehaft genommen wurde", sagte der Minister. Eine entsprechende Haftanordnung sei aber gar nicht beantragt worden. Dabei hätten aus seiner Sicht die Haftgründe für eine Sicherungshaft "ohnehin mehrfach" vorgelegen.

Abschiebehaft sei, so führte der Minister aus, nur dann unzulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann — aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat. Genau das sei aber bei Anis Amri nicht der Fall gewesen: Mit seinen vielen Scheinidentitäten, seinen Wohnortwechseln, habe Amri die Verzögerung der Abschiebung selbst zu vertreten gehabt. Zudem habe Fluchtgefahr bestanden.

Auch habe Tunesien zu diesem Zeitpunkt schon die Identität von Anis Amri bestätigt. "Warum sollte Tunesien nicht innerhalb kurzer Zeit ein Passersatzpapier ausstellen, wenn Tunesien die Identität selbst bestätigt?" Spätestens ab Ende Oktober hätte man dem Minister zufolge mit guten Gründen einen Antrag auf Sicherungshaft stellen können. "Es wurde aber nicht einmal versucht."

Auf Nachfrage, wonach Ende Oktober lediglich Interpol Tunis, nicht aber Tunesien Amris Identität bestätigt habe, schwächte de Maizière seine Aussage ab: "Man hätte wenigstens mal einen Antrag stellen sollen. Man hätte es versuchen müssen."

Damit kommt der Bundesinnenminister (CDU) zu einer ganz anderen Rechtsauffassung als der Gutachter Bernhard Kretschmer, den die nordrhein-westfälische Landesregierung beauftragt hatte - und auch als NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD).

Kretschmer hatte am Montag bei der Vorstellung seines Gutachtens ausgeführt, Amri habe nach geltender Rechtslage nicht inhaftiert werden können. Amris kriminelle Vergehen und seine Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht seien nicht ausreichend gewesen. Ausländerrechtlich sei dies an der Weigerung Tunesiens gescheitert, Amri als Tunesier anzuerkennen.

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Der Gutachter erklärte, er habe keine wesentlichen Versäumnisse der NRW-Behörden festgestellt. Die Opposition im NRW-Landtag hatte den Bericht als Auftragsgutachten der Landesregierung in Zweifel gezogen.

Auf die Frage, ob der NRW-Innenminister für Versäumnisse verantwortlich zu machen sei, sagte de Maizière: "Es geht mir überhaupt nicht um Schuldzuweisungen." Die Aufklärung müsse im Vordergrund stehen. Aus seiner Sicht lägen die Probleme im Sicherheitsbereich, zum einen in einer unzutreffenden Bewertung der Gefährdungslage. Und eben darin, dass ein Abschiebeantrag nicht gestellt worden sei.

Wer dies denn hätte veranlassen müssen, will Simone Brand von der Piraten-Fraktion wissen. Der Minister erwidert: Er habe die Zuständigkeitsregeln in NRW in diesem Zusammenhang bisher nicht ganz verstanden. Die Zuständigkeit liege vermutlich irgendwo zwischen den Behörden in Kleve, Oberhausen und Köln.

Amri hatte am 19. Dezember einen Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gesteuert. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hatte sich zu dem Terroranschlag bekannt und Amri als ihren Soldaten bezeichnet. Der war in Deutschland bereits Monate vor der Tat als islamistischer Gefährder eingestuft und beobachtet worden.

Auch in Berlin wird ein Sonderbeauftragter das Handeln der Sicherheitsbehörden und mögliche Fehler vor dem Terroranschlag untersuchen. Der Berliner Senat beschloss am Dienstag die Berufung eines externen Fachmanns. Nach Informationen verschiedener Medien soll der pensionierte Bundesanwalt Bruno Jost die Position übernehmen.

(kib)
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