Bürgerdialog Regierung streitet über "Gut leben"

Berlin · Die Ergebnisse des Bürgerdialogs "Gut leben" sollen im August verabschiedet werden. Die Kanzlerin hatte diese Projekt für mehr Bürgerbeteiligung angestoßen. Doch einzelne Ministerien kämpfen erbittert um die Inhalte, wie aus dem Entwurf hervorgeht.

 Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt kritisiert den Abschlussbericht vom Bürgerdialog "Gut leben".

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt kritisiert den Abschlussbericht vom Bürgerdialog "Gut leben".

Foto: dpa, ped lof wst

Was ist den Menschen wichtig? Und wie kann Politik sicherstellen, nicht an den Bürgern vorbeizuhandeln? Um dem Volk den Puls zu fühlen, haben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Minister im Sommer des Vorjahres rund 50 Dialogveranstaltungen zur Lebensqualität überall in Deutschland abgehalten. Teils waren dabei Randerscheinungen wichtiger als die eigentlichen Gesprächsinhalte (etwa, als die Kanzlerin das weinende Flüchtlingsmädchen Reem Sahwil tröstend streichelte). Auch nach Duisburg-Marxloh kam die Kanzlerin. Doch jetzt ist die Auswertung abgeschlossen und der Bericht der Bundesregierung so gut wie fertig. Ein Entwurf des rund 260 Seiten umfassenden Werks liegt unserer Redaktion vor.

Die Expertengruppe, die den Bericht erstellt, hat für die Auswertung zu insgesamt zwölf "Dimensionen der Lebensqualität" 45 Indikatoren ausgewählt. Die Antworten und Diskussionsbeiträge der Bürger bei den Dialogveranstaltungen mit Merkel und ihren Ministern sowie Beiträge aus dem Netz wurden den Indikatoren zugeordnet. Aber: Die Bundesregierung hat darüber hinaus keine eigenen Umfragen gestartet, die Ergebnisse des "Gut leben"-Berichts sind daher nicht repräsentativ. Vielmehr werden darin Daten aus bereits veröffentlichten Studien und Statistiken für die einzelnen Themen herangezogen und mit den Beiträgen der Bürger vermengt.

So ist darin etwa zum Thema Kriminalität zu lesen, dass sich rund 80 Prozent der Deutschen relativ sicher fühlen — dafür wird eine Studie von 2012 zitiert — und im Jahr 2015 rund 564.000 Männer und 382.000 Frauen Opfer von Straftaten wurden. Die Bundesregierung könne das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen nur indirekt beeinflussen, heißt es im Ergebnis des Kapitels. Dafür habe man aber beispielsweise 4000 zusätzliche Stellen für die Sicherheitsbehörden des Bundes beschlossen.

Wie aus Regierungskreisen zu vernehmen war, soll der Bericht auf Wunsch von Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) Ende August im Kabinett verabschiedet werden. Allerdings gibt es hinter den Kulissen derzeit noch Kritik an der Ausgestaltung des Berichts und teils heftigen Streit zwischen einzelnen Ministerien.

So moniert das Bundeslandwirtschaftsministerium von Ressortchef Christian Schmidt (CSU) in einem internen Vermerk, der unserer Redaktion vorliegt, dass man zu wenig Zeit habe, Stellung "zu einem Berichtsentwurf dieser Bedeutung und Komplexität" zu nehmen. Das widerspreche allen Gepflogenheiten und mache eine sachgerechte Prüfung "nahezu unmöglich".

Inhaltlich kritisiert das Agrarministerium unter anderem, es sei "völlig unverständlich", dass unter der Überschrift "Lebensqualität" der Beitrag des Waldes und der deutschen Forst- und Holzwirtschaft in dem Entwurf "komplett ausgeblendet" werde. Das sei inakzeptabel. Und besonders harsch reagieren Schmidts Beamten auf die im Entwurf enthaltene Darstellung der Naturschutzoffensive des Bundesumweltministeriums als Offensive der gesamten Bundesregierung. So heißt es im Bericht: "Der Abwärtstrend bei der Artenvielfalt und Landschaftsqualität muss beendet und umgekehrt werden. Dafür ergreift die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen. Die Naturschutz-Initiative 2020 enthält rund 40 Maßnahmen und Initiativen zur Verbesserung der Artenvielfalt. Dazu gehören eine Ausweitung von Schutzgebieten genauso wie Verbesserungen bei der Landnutzung." Das sei an "Dreistigkeit nicht zu überbieten" und völlig inakzeptabel, schreiben Schmidts Beamte in dem internen Vermerk. Die entsprechende Stelle sei daher zu streichen.

Ob sich die Ressorts angesichts solcher Zerwürfnisse und der Sommerpause tatsächlich bis Ende August auf einen gemeinsamen Bericht werden einigen können, darf also angezweifelt werden.

(jd)
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