Tübingens OB Boris Palmer Grünen-Rebell provoziert mit Flüchtlingsbuch

Berlin · Schon der Titel des Buchs ist für viele Grüne eine Provokation. "Wir können nicht allen helfen" heißt die Analyse der Flüchtlingskrise. Geschrieben hat sie ausgerechnet ein Grüner. Wieder einmal geht der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer seiner Partei im Wahlkampf gehörig auf die Nerven.

 Boris Palmer bei der Buchpräsentation in Berlin. Unterstützt wurde er dabei von der CDU-Politikerin Julia Klöckner.

Boris Palmer bei der Buchpräsentation in Berlin. Unterstützt wurde er dabei von der CDU-Politikerin Julia Klöckner.

Foto: dpa, nie jai

Der 45-jährige Mathematiker gilt inzwischen als der konservativste Grüne überhaupt. Auf Parteitagen wird er gefragt, warum er nicht zur CDU wechselt. Zuletzt schmetterte ihm eine Kreuzberger Parteikollegin öffentlich entgegen, er sollte "endlich mal die Fresse halten". Palmer ficht das kaum an.

Die Rolle des Provokateurs liegt bei ihm in der Familie. Sein Vater wurde als sogenannter Remstal-Rebell bekannt, weil er Bürgermeistern aus Protest Gülle vor das Rathaus schüttete. Dass sein Buch von der stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Julia Klöckner vorgestellt wird, passt auch zum jungen Palmer.

Aus der Perspektive eines Kommunalpolitikers

Wie sehr Teile seiner Partei mit ihm fremdeln, wird am Vorabend der Buchvorstellung deutlich. Jürgen Trittin, noch immer Speerspitze des linken Parteiflügels, fragt via Twitter, ob die konservative Erika Steinbach keine Zeit hatte, die Buchvorstellung zu übernehmen. "Bitter für Boris", spottet Trittin.

Die Spannungen tragen auch dazu bei, dass Palmer viel Aufmerksamkeit bekommt. Julia Klöckner nennt es ein Plädoyer gegen Schwarz-Weiß-Denken. Palmer beschreibe das Dilemma zwischen "Flüchtlingsidealismus und -realismus" praxisnah aus der Perspektive eines Kommunalpolitikers, der die Probleme wirklich kennt. 2015 hatte ihn das zum öffentlichen Widerspruch gegen Angela Merkel veranlasst. "Wir schaffen das nicht!", hatte Palmer gesagt. Sein Buch aber, stellt Klöckner fest, taugte nicht zum Skandal.

"Für die, die schon da sind, muss es eine Chance geben"

Palmer ist der Überzeugung, dass ein realistischer Blick auf Flüchtlinge von Anfang an fehlte. Journalisten und Politiker hätten es voreilig ein Glück für Deutschland genannt, dass viele ehrgeizige junge Menschen herkämen — und damit falsche Erwartungen geweckt. Palmer kritisiert, dass die Anstrengungen unterschätzt wurden, die Kommunen aufbringen müssen, um Flüchtlinge ohne Ausbildung und Sprachkenntnisse in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft zu integrieren.

Als er darauf hinwies, sei ihm vorgeworfen worden, er wolle die Stimmung der Willkommenskultur ins Gegenteil kippen. Palmer schreibt: "Wenn die Stimmung sich nur halten lässt, solange wichtige Fakten ausgeblendet oder geschönt werden, kippt sie irgendwann zwangsläufig."

Palmer schreibt dennoch: "Für die, die schon da sind, muss es eine Chance geben, weil ich die untätigen jungen Männer zunehmend als Problem im öffentlichen Raum sehe." Den Grünen will er treu bleiben. Er kenne keine Partei, die so viele unterschiedliche Meinungen aushalten könnte.

(rl)
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