Ministerpräsident von Thüringen Bodo Ramelow: "Pazifismus ist nichts für Deutschland"

Bielefeld · In Bielefeld beginnt am Samstag der erste Parteitag der Linken mit einem Ministerpräsidenten aus den eigenen Reihen. Der Thüringer Regierungschef empfiehlt seiner Partei, ihr Verhältnis zur Bundeswehr zu klären. Und er dankt den Soldaten.

Bodo Ramelow – Wessi, top-seriös und Hundefreund
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Das ist Bodo Ramelow

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In Bielefeld beginnt an diesem Samstag der erste Bundesparteitag der Linken mit einem Ministerpräsidenten aus den eigenen Reihen - welche Botschaften bringen Sie mit?

Ramelow Unser Erfolg liegt darin, dass wir uns beides gestatten. Wir haben unterschiedliche Rollen. In NRW, Rheinland-Pfalz oder Baden-Württemberg haben wir eine andere Perspektive als in Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern, wo wir mit einer Regierungsperspektive in die Wahlkämpfe gehen. Der Anspruch ist jedoch der gleiche: Jenseits der Mitte von links gesellschaftliche Veränderung in Bewegung zu bringen. Das kann man sowohl aus der Regierung als auch aus der Opposition heraus. Wir müssen es schaffen, wieder Grundgewissheiten dieser Gesellschaft zu thematisieren.

Was heißt das?

Ramelow Die gesellschaftlichen Erfahrungen der letzten Jahre haben viele Ängste produziert. Wenn z.B. die gesetzliche Rente auf Kapitalgedeckte Versicherungen umgestellt, bzw. ergänzt wird, die Lebensversicherung aber keinen Ertrag mehr erwirtschaftet, dann ist das nicht nur individuell ein Problem für den Rentner, der kein ausreichendes Geld mehr kriegt, dann sind diese Unsicherheiten eine große Gefahr für die gesamte Gesellschaft. Es entsteht eine steigende Grundangst. Und wenn das zum Grundgefühl einer Gesellschaft wird, verlieren wir die Kreativität, die wir brauchen. Wir müssen dafür kämpfen, dass man sich auf die Solidarität in der Gesellschaft, auf die Solidarität in einem Betrieb, wieder verlassen kann.

Stimmen Sie nach einem halben Jahr den frühen Grünen-Erfahrungen zu: "Regieren macht Spaß"?

Ramelow Regieren ist kein Selbstzweck. Es geht darum, Verantwortung tragen zu dürfen. Wir tun das in einer Konstellation, die in Deutschland noch niemand vorher probiert hat. Das Konzept folgt der Erfurter Erklärung von 1997. Damals hat Kohl vor der "Volksfront von links" gewarnt und ich war als parteiloser Gewerkschaftsfunktionär für diese Dreier-Konstellation aktiv tätig. Jetzt bin ich ihr Ministerpräsident.

Also hatte Kohl auch hier Recht?

Ramelow (lacht) Natürlich. Es war nicht alles falsch. Kohls Spitzensteuersatz von 53 Prozent gefällt mir heute noch sehr gut.

Wird es in der Konsequenz dieser Entwicklung auch irgendwann Zeit für einen Kanzlerkandidaten der Linken?

Ramelow So eine Frage stellt sich im Moment wirklich nicht. Zuerst brauchen wir einen schwierigen Klärungsprozess, wie wir im Bund zu den anderen beiden Partnern stünden. Ich bin aber ehrlich froh, dass uns in Thüringen viele dieser Themen nicht direkt tangieren. Wir akzeptieren uns in unserer Unterschiedlichkeit. In Erfurt geht es nicht um den nächsten Nato-Einsatz. Und die Linke im Bundestag muss sich ja auch nicht an der Thüringer Regierung in solchen Punkten orientieren.

Worüber müssten Sie denn mit SPD und Grünen reden?

Ramelow Zum Beispiel über eine Reform der Nato. Zum Beispiel über eine neue Weltfriedensarchitektur. Es geht doch nicht nur darum, für oder gegen die Ukraine zu sein. Mich beschäftigt seit vielen Jahren die Frage, ob nicht jeder Kontinent für seine eigene Sicherheit Verantwortung übernehmen sollte. In einem Weltfriedensrat säßen dann die Sicherheitsorganisationen aller Kontinente und nicht mehr die Anti-Hitler-Koalition als immerwährendes Weltsicherheitssystem. Wir müssen doch mal darüber reden können, wo wir eigentlich hin wollen - auch mit CDU und FDP.

Wie könnte das Dreierbündnis auch auf Bundesebene in Gang kommen?

Ramelow Da kann nur gehen, wenn wir viel mehr miteinander sprechen. Wir haben in Thüringen vor drei Jahren angefangen, eine neue Vertrauensbasis zu entwickeln. Das fehlt im Bund. Die SPD muss sich auch entscheiden, ob sie mal einen Kanzlerkandidaten mit Aussicht auf Erfolg stellen will oder immer nur Juniorpartner von Frau Merkel bleiben will.

Rot-Rot-Grün hätte jetzt schon die Mehrheit im Bundestag, wäre das eine Alternative, wenn die große Koalition in schwere Fahrwasser kommt?

Ramelow Ich würde es mir als Option wünschen. Aber dieser Wunsch wäre gekoppelt an einen Vorrat an gemeinsamen Perspektiven. Wir können nicht formal die Funktion der FDP übernehmen wollen, wir müssen auch etwas Erkennbares durchsetzen und etwas vorweisen können. Allerdings haben wir unsere Hausaufgaben selbst auch noch nicht gemacht.

Woran muss die Linke noch arbeiten?

Ramelow Wir haben unter uns unser Verständnis von einer neuen Weltfriedensordnung noch nicht deutlich genug gemacht. Das interpretieren zu viele noch zu unterschiedlich. Wir sollten unser Verhältnis zur Bundeswehr klären. Unaufgeregt, ruhig und sachlich. Für mich ist die Bundeswehr als Verteidigungsarmee nötig, für mich sind die Standorte der Bundeswehr in Thüringen wichtig. Und ich finde es nicht in Ordnung, dass die Bundeswehr schlechte Gewehre, schlechte Schiffe und schlechte Hubschrauber hat, aber als Landesverteidigungs- und nicht als Interventionsarmee.

Die Linke war sich aber schon nicht einig, ob die Bundeswehr die Zerstörung syrischer Chemiewaffen unterstützen soll.

Ramelow Ich habe unsere interne Debatte darüber überhaupt nicht verstanden. Ich war doch stolz, dass unser Spezialist Jan van Aken die deutsche Herkunft der syrischen Chemiewaffen identifiziert hat. Dann müssen wir uns doch daran beteiligen, dass das Zeug unschädlich gemacht wird und stolz auf die Rolle der Linken dabei sein! Waffen vernichten — was Schöneres kann man sich doch nicht wünschen, wenn man aus der Friedensbewegung kommt. Stattdessen streiten wir uns darüber, ob dafür das richtige Schiff zum Einsatz kommt.

Ist bei der Linken in dieser Frage vielleicht zu viel Ideologie im Spiel?

Ramelow Nicht nur vielleicht. Ich sage: Danke, dass die Chemiewaffen vernichtet wurden. Dank auch an alle Soldaten, die dabei geholfen haben. Und ich sage auch: Gut, dass wir zur Flüchtlingsrettung im Mittelmeer jetzt auch geeignete Bundeswehr-Schiffe einsetzen. Das ist meine Vorstellung davon, was man mit Bundeswehr sinnvoll tun sollte. Ich habe Hochachtung für jeden, der für sich sagt: ich bin Pazifist. Aber das sehe ich nicht als Handlungskonzept für eine Nation wie Deutschland.

Stichwort Energiewende: Haben Sie Verständnis für Seehofers Kurs bei der Trassenführung?

Ramelow Ich erwarte von meinem bayerischen Amtskollegen, jetzt endlich die Endabstimmung zu organisieren. Es geht nicht, dass wir genötigt werden, die Stromtrassen auch durch sensible Gebiete in Thüringen zu führen, die Fortsetzung auf bayerischer Seite aber nicht genehmigt wird. Das muss besser abgestimmt werden. Die Bayern könnten neben dem Wasserstrom aus Österreich auch welchen von uns beziehen. Hier könnten wir sogar gut kooperieren. Wir könnten das erste Bundesland sein, das komplett auf regenerativen Strom umstellt. Wir haben genügend Speicher. Leider passt das mit der Philosophie der Energiewende in Deutschland nicht zusammen. Dezentral, regional und regenerativ wollen wir in Thüringen unseren Beitrag zur Energiewende leisten, dazu sollte man uns auch den wirtschaftlichen Raum geben und uns nicht nur als Kupferstrecke benutzen.

Schafft die große Koalition die Neuordnung der Finanzbeziehungen?

Ramelow Im Moment habe ich das Gefühl, dass wir zwischen den Interessen von NRW, Bayern und Baden-Württemberg einerseits und dem Finanzminister andererseits zerrieben werden. Wenn Frau Kraft es schafft, den Umsatzsteuervorwegabzug abzuschaffen, dann hat NRW eine Milliarde gewonnen und wir haben eine Milliarde verloren. Wir bevorzugen ein gemeinsames Vorgehen der neuen Bundesländer. Da sehen sie Herrn Tillich und mich an einem Strang ziehen. Wir stehen zum Soli als Benachteiligungsausgleich. Der käme dann auch dem Ruhrgebiet in NRW und der Eifel in Rheinland-Pfalz zu Gute. In Thüringen braucht ihn Jena nicht mehr, aber Altenburg noch. Die 14 Milliarden darf der Bund nicht alleine einstecken. Der Soli muss es benachteiligten Regionen ermöglichen, endlich aufzuholen.

(may-)
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