AfD-Erfolg in Sachsen-Anhalt Sind hier alle rechts?

Bitterfeld/Klietz · Rekordergebnisse für die AfD, entsetzte Politiker der etablierten Parteien: Warum hatten die Rechtspopulisten bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt so großen Erfolg? Wir haben die Menschen vor Ort gefragt und festgestellt: Die Antwort ist nicht so einfach.

 Das "Gelbe Ghetto" in Klietz.

Das "Gelbe Ghetto" in Klietz.

Foto: Kilian Tress

Als dreckigste Stadt Europas war Bitterfeld früher einmal verschrien. Seit der Wende versucht der Ort, sich ein neues Image zu geben. Der Große Goitzschesee war bis Ende der 1990er Jahre noch Teil des Braunkohlentagebaus, jetzt ist er ein Naherholungsgebiet. Museen, Bibliotheken: eigentlich ist es ganz schön hier, im Süden Sachsen-Anhalts. In die Schlagzeilen gerät Bitterfeld nun aber aus einem anderen Grund.

Wahlkreis 29. Nirgendwo war die AfD in Sachsen-Anhalt erfolgreicher als hier. 33,38 Prozent holte Kandidat Volker Olenicak, bei den Zweitstimmen waren es immerhin noch 31,94 Prozent. Warum ausgerechnet in Bitterfeld? "Die Menschen hier sind nicht ausländerfeindlicher oder radikaler als anderswo", sagt Steffen Berkenbusch. Der 43-jährige Handwerksmeister ist im Wahlkreis für die SPD ins Rennen gegangen. "Sie sind einfach nur frustriert darüber, wie sich hier alles entwickelt."

"Uns wandert die Intelligenz ab"

Denn die See-Idylle ist nur die eine Seite der Medaille. Als der Tagebau nach der Wende geschlossen wurde, gingen zahlreiche Arbeitsplätze verloren. So etwas frustriert viele Bürger, genau wie im vergangenen Jahr das Ende der Solarzellenproduktion bei einem der größten Arbeitgeber des Ortes, Q-Cells. Die Arbeitslosigkeit lag zuletzt bei über 10 Prozent, im Gemeindehaushalt schlägt ein Millionen-Defizit zu Buche. "Uns wandert die Intelligenz ab", sagt Berkenbusch. Knapp ein Jahr lang hielten Bitterfelder Bürger jeden Montag sogenannte Mahnwachen auf dem Marktplatz.

 Das Solarunternehmen Q-Cells war einer der größten Arbeitgeber der Region.

Das Solarunternehmen Q-Cells war einer der größten Arbeitgeber der Region.

Foto: dapd, Jens Schlueter

Auch der Sozialdemokrat ist frustriert — über einen einseitigen Wahlkampf, bei dem Wähler nichts über Fachkräftemangel und fairen Lohn hören wollten, sondern bei dem nur über Flüchtlinge gesprochen wurde. Frustriert ist er außerdem über seine eigene Partei, bei der einige Kandidaten auf dem Parteitag in Wittenberg mehr um ihren Listenplatz als um bürgernahe Politik bemüht gewesen seien. "Die Arroganz der Abgeordneten ist abgestraft worden", sagt der 43-Jährige, selbst auf dem letzten Listenplatz. "Ein paar Jahre Opposition würden der SPD gut tun. Ansonsten müssen wir aufpassen, dass wir nicht unter fünf Prozent rutschen." Bei der Flüchtlingskrise seien die Sozialdemokraten viel zu schwammig geblieben. "Die Angst der Menschen hat die AfD für ihre Ziele ausgenutzt."

Großes Potenzial für Protestwähler

Seit jeher gebe es in Bitterfeld ein großes Potenzial für Protestwähler, sagt Rechtsanwalt Veit Wolpert, der für die FDP im Wahlkreis antrat. Früher habe davon die rechtsextreme DVU profitiert, später dann seien es die Liberalen gewesen. So große Gewinne wie die AfD konnte aber noch keiner vorweisen. Ein Ergebnis der Flüchtlingskrise? "Ein Asylheim gibt es schon seit Jahren in Bitterfeld", sagt FDP-Kandidat Wolpert. "Hier haben Neonazis versucht, eine Schlägerei anzufangen. Sie haben aber das Heim nicht gefunden, weil es so unauffällig ist." Er glaube nicht, dass die AfD-Wähler alle rechtsradikal seien. "Aber wenn man sich im Wahlkampf mit den Menschen unterhält, spürt man schon die Angst vor dem Fremden." Das habe ihn erschreckt.

"Die AfD ist hier im gesellschaftlichen Leben eingebunden", sagt CDU-Kandidat Lars-Jörn Zimmer. Ein Beispiel sei der Förderverein der Innenstadt. "AfD-Mitglieder haben sich in den Vorstand wählen lassen und beeinflussen dort jetzt die Meinung", sagt Zimmer. Nachdem der gesamte alte Vorstand zurückgetreten war, haben Volker Olenicak und Parteifreund Michael Bock ihre Chance genutzt. Mitglieder warfen der neuen Vereinsführung anschließend vor, nur noch politisch ausgerichtet zu sein, andere traten aus.

"Die sind alles andere als dumm"

Die Partei sei stark unterschätzt worden, sagt Steffen Berkenbusch. "Die sind alles andere als dumm. Manche sind sogar hochintelligent." FDP-Kandidat Wolpert kennt Volker Olenicak auch aus dem Rat. "Da ist er aber durch wenig Aktivität aufgefallen. Umso stärker war er außerparlamentarisch aktiv." Zum Beispiel mit einer Bürgerinitiative, die sich gegen den Verkauf der Goitzsche gewehrt hat. "Er arbeitet aber auch mit einer Gruppe zusammen, die bei den Ratssitzungen abgesprochene Fragen zu nichtöffentlichen Themen stellt, damit sie öffentlich werden." Beim Verweis auf die Nichtöffentlichkeit heiße es dann: Sie verschweigen uns wieder alles.

Olenicak ist in Bitterfeld geboren, er lebt wenige Kilometer entfernt in Friedersdorf. In der Innenstadt betreibt er mehrere Telefonläden. Im Wahlkampf machte der 49-Jährige als "lebende Litfaßsäule" von sich reden: Mit umgehängten Plakaten zog er über den Marktplatz. "Er hat es geschafft, den Leuten auf Augenhöhe zu begegnen", sagt SPD-Kandidat Berkenbusch. Der Tenor: "Wir hier unten gegen die da oben." CDU-Kandidat Zimmer hat den Wahlkampf als "extrem aggressiv" erlebt. Nicht vom Kandidaten selbst, sondern aus dem Umfeld der Partei. "Ich habe immer wieder gehört, wie Leute davon sprechen, dass 'die alle weg' müssten. Wir natürlich besonders", sagt er. "So viele persönliche Anfeindungen gab es hier noch nie."

Erreichen konnte unsere Redaktion Olenicak bisher nicht. Bei einem öffentlichem Termin nach der Wahl in Bitterfeld sagte er laut "Spiegel" vor Journalisten: "Ich habe den Wählern nichts versprochen, außer mich wie bisher einzusetzen und nicht zu lügen". Die Bürger seien unzufrieden — mit der Bundes- wie der Landesregierung. "Wenn ich jetzt Nazi genannt werde, beflügelt mich das nur noch mehr."

Gerade im Internet formiert sich das politische Umfeld. Auch hier ist Olenicak aktiv. In einem Video aus dem Nahen Osten ist ein Lehrer zu sehen, der seine Schüler mit dem Stock auf die Hand schlägt. Er kommentiert das bei Facebook: "Passende Sprache zur Mentalität der Schüler ? Sieht hart aus aber ermöglicht in Zukunft sicher ein erträglichen Schulalltag." (Fehler aus dem Original übernommen, d. Red.)

 Der Eingang zur Kaserne in Klietz.

Der Eingang zur Kaserne in Klietz.

Foto: Kilian Tress

Jetzt hat CDU-Kandidat Zimmer sein bisheriges Landtagsmandat verloren — das ist eben der Lauf der Demokratie. "Aber gegen jemanden, der politisch noch nie etwas geleistet hat und nur Sprüche klopft. Das ist schon hart", sagt er. Es scheint eine komplizierte Mischung zu sein, die die Menschen in Bitterfeld zur AfD getrieben hat. Ein Gefühl der Unsicherheit gegenüber dem Fremden, eine große Unzufriedenheit mit den bisherigen Politkern — und ein Kandidat, der sich den Bürgern als einer von ihnen präsentiert. Das zieht bis in die Mitte.

700 Flüchtlinge auf 1000 Einwohner

150 Kilometer nördlich von Bitterfeld liegt Klietz. Das Dorf zählt 1057 Einwohner. Die AfD fuhr in der ehemaligen Linken-Hochburg am Sonntag 33 Prozent ein, ist stärkste Kraft. Einen Spitzenkandidaten stellte sie nicht. "Unsere Bürger sind verunsichert und wütend", sagt Bürgermeister Herrmann Paschke (Die Linke) über das Wahlergebnis in Klietz. "Ihnen wird seit Jahren von der Politik das Gefühl gegeben, nichts wert zu sein."

 Was früher mal eine Tankstelle war, ist jetzt ein Gasthof.

Was früher mal eine Tankstelle war, ist jetzt ein Gasthof.

Foto: Kilian Tress

Im September musste das Kleinod zwischen Elbe und Brandenburg spontan 700 Flüchtlinge aufnehmen. Dazu dienen Kasernen der Bundeswehr, die Soldaten zogen extra in ein Biwak-Lager um. Nirgendwo im Land ist das Verhältnis zwischen Einwohnern und Flüchtlingen so extrem. Das Stadtbild hat sich binnen weniger Tage komplett gewandelt. "Dass die AfD mit ihren Parolen hier punktet, war uns klar. Aber nicht mit einem Drittel aller Wähler", sagt Paschke.

Rechtsextremismus war in Klietz nie ein großes Thema: Die NPD hatte bei den letzten Bundestagswahlen fünf Prozent der Stimmen im Dorf. Laut Zensus kamen im Jahr 2011 auf die damals 1600 Einwohner nur drei Ausländer. Und auch heute sei Fremdenfeindlichkeit nicht der Grund für die Stärke der AfD, sagt der Bürgermeister.

Die Schuld am Wählerverhalten sieht er bei der Landesregierung. So habe Magdeburg den Bürgermeister erst drei Tage vor Eintreffen des ersten Flüchtlingstransports informiert, dass in seinem Dorf eines der größten Aufnahmelager des Landes entstehen soll. Zwar sollte Klietz ursprünglich nur als Übergangsstation genutzt und bald abgelöst werden. "Doch jetzt wird hinter unserem Rücken der Vertrag verlängert", sagt Paschke. Wieder fühlten sich die Bewohner von ihrer Landesregierung hintergangen. Wie so oft in der Vergangenheit.

Anwohner fühlen sich im Stich gelassen

Im Jahr 2013 überschwemmte die historische Elbflut die gesamte Region. Klietz stand wie viele andere Dörfer knietief im Wasser. "Wir haben sehr viel ehrenamtliche Hilfe bekommen. Aus ganz Deutschland", erinnert sich Pfarrer Hartwig Janus. Viele Anwohner beklagen jedoch, dass sie sich bis heute von der Landesregierung im Stich gelassen fühlen. Sogar die Hauptstraße vorbei am Fußballplatz und der Flüchtlingsunterkunft ist wegen der Hochwasserschäden noch immer gesperrt. "Wir verstehen nicht, warum das Land für Flüchtlinge Geld aufbringen kann, wir aber mit all unseren Sorgen seit Jahren links liegen gelassen werden", sagt eine Imbissbesitzerin. Der einzige Fleischermeister des Dorfs aber betont. "Unsere Probleme sind nicht die Flüchtlinge, ohne die wäre es hier längst totenstill. Aber unsere Sorgen werden nicht erhört."

Jetzt stehen die zwei Schulen im Dorf kurz vor der Schließung. Das Schulamt bewilligt keine Gelder mehr. Viele Einwohner befürchten, dass dadurch noch mehr junge Eltern mit ihren Kindern wegziehen. Ein Drittel flüchtete bereits in den vergangenen fünf Jahren aus dem Dorf - aus Perspektivlosigkeit.

 Das "Gelbe Ghetto" in Klietz.

Das "Gelbe Ghetto" in Klietz.

Foto: Kilian Tress

Auch die beiden Banken in Klietz werden jetzt dicht gemacht; der Betrieb ist einfach zu unwirtschaftlich. Bargeld gibt es ab April nur noch zehn Kilometer weiter im Nachbardorf. Durch die fehlenden Banken wird Klietz unattraktiver für Einzelhändler. Eine Abwärtsspirale, aus der das Dorf kaum ausbrechen kann.

Die Bewohner, die bleiben, müssen dabei zusehen, wie ihre Heimat verödet. Wie das "Gelbe Ghetto", ein Stadtteil aus Plattenbauten, der noch 1988 zum Ende der DDR hochgezogen wurde. Seit Jahrzehnten stehen die Häuser leer und gammeln dahin. "Wir haben versucht, unserem Landrat das alles zu erklären", sagt Bürgermeister Paschke. Ohne Erfolg. "Dann ist es auch kein Wunder, wenn die Menschen irgendwann den Parolen der AfD Glauben schenken."

(lukra/kt)
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