Deutsch-russische Beziehungen Wie hältst du's mit der Krim?

Berlin · Erst Lindner, dann Hoeneß: Die Forderungen nach einem Neustart der deutsch-russischen Beziehungen häufen sich. Warum sich Kanzlerin Merkel damit so schwer tut und wie es zu einer neuen Verständigung kommen könnte.

 Angela Merkel und Wladimir Putin (Archiv).

Angela Merkel und Wladimir Putin (Archiv).

Foto: afp

Als der frühere brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck 2015 die "Annexion der Krim nachträglich völkerrechtlich regeln" wollte, fiel es Kanzlerin Angela Merkel noch leicht, die Zahl der Putin-Versteher klein und die Rufe nach einem Ende der Sanktionen gegen Russland leise zu halten. Doch drei Jahre später scheint der Ansatz der aktuellen deutschen Russlandpolitik zu bröckeln. Die Ministerpräsidenten der Ost-Länder konfrontieren über alle Parteigrenzen hinweg die CDU-Chefin mit der Forderung nach Sanktionsschluss, und die Rufe nach einem Neustart der deutsch-russischen Beziehungen reichen nun weit über die Politik hinaus bis zum Schauspieler und Regisseur Til Schweiger und Bayern-Boss Uli Hoeneß.

Er sei "nicht der Meinung, dass nur die Russen daran schuld waren, dass diese Krim-Geschichte passiert ist", gab Hoeneß beim Ständehaus-Treff in Düsseldorf zu Protokoll. Und damit er auch nur ja nicht falsch verstanden wird, ergänzte er: "Wenn die Nato immer näher kommt, dann möchte ich mal hören, wie Sie reagieren." Angela Merkel jedenfalls reagiert noch immer gleich, wenn das Stichwort Krim fällt. "Die Sanktionen sind kein Selbstzweck", lässt die Kanzlerin ihre Sprecherin Ulrike Demmer hervorheben. Es handele sich um eine Reaktion auf die "weiterhin bestehende völkerrechtswidrige Annexion der zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim" - einerseits. Und andererseits um Russlands Rolle bei der Destabilisierung der Ost-Ukraine durch von Moskau unterstützte Separatisten.

Damit ist Merkels Gleichung klar: Russlands Präsident Wladimir Putin hat 2014 die Krim besetzen lassen und sich einverleibt und dann die Ost-Ukraine attackiert. Das nimmt der Westen nicht hin. Also wird der Westen seine Reaktionen erst ändern, wenn Putin das auch tut.

Das hat FDP-Chef Christian Lindner in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes bereits als Sackgasse empfunden. Er schlug vor, die Krim-Annexion als "dauerhaftes Provisorium" hinzunehmen und den Konflikt darum "einzukapseln", um abseits davon voranzukommen. Nicht erst wenn das Friedensabkommen von Minsk in jedem Punkt umgesetzt sei, könne es zu einer Wiederannäherung kommen. Vielmehr müssten auch "positive Zwischenschritte" gewürdigt werden können. Also frei nach der Entspannungspolitik der 70er Jahre ein Sanktionenwandel durch Wiederannäherung.

Merkel dürfte die letzte Politikerin sein, die sich pragmatischen Lösungen verschließt. Sie hat längst den Vorsatz aufgegeben, die Nachkriegsordnung Syriens nur ohne Beteiligung des Assad-Regimes zu regeln. Denn nach der russischen Intervention in Syrien hat Assad seine Stellung massiv ausgebaut. Gegen ihn wird es derzeit kein Ende des Bürgerkrieges geben und ohne ihn sowieso nicht.

In Sachen Krim ist Merkel jedoch weniger geschmeidig. Kaum hatte Lindner seine Vorstellungen entwickelt, fuhr sie ihm in die Parade: "Wenn ich jetzt zum Beispiel so höre, die russische Annexion der Krim müsse man einfach akzeptieren, dann überlege ich: Was wäre denn passiert, wenn man damals so mit uns in der DDR umgegangen wäre, nach dem Motto, ist ja klar, dass Deutschland geteilt bleibt, daran wird sich nichts mehr ändern?"

Damit wird deutlich: Syrien ist Weltpolitik. Die Krim nimmt Merkel persönlich. Es gehört zum inneren Überzeugungsgerüst einer ganzen DDR-Generation, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa nie mehr die Herrschaft des Rechts durch das Recht des Stärkeren ablösen zu lassen. Mühsam war zwischen Ost und West 1975 die Schlussakte von Helsinki vereinbart worden, nach der sich alle Seiten zu Standards bei Zusammenarbeit und Menschenrechten verpflichteten. Damit änderte sich im Osten jedoch nur das Bewusstsein für Recht und Unrecht, nicht jedoch das Sein, solange die Welt in Einflusszonen aufgeteilt war.

Fußball-WM bietet Möglichkeit der Annäherung

Das Vordringen Putins auf die Krim und in die Ost-Ukraine steht in einem auffälligen Zusammenhang mit seinem Bestreben, mit Anklängen an die alte sowjetische Macht von aktuellen russischen Unzulänglichkeiten abzulenken. Ein Zurückweichen kommt für Merkel daher nicht infrage. Sie verweist zu Recht darauf, dass sich ehemalige Moskauer Satellitenstaaten aus freien Stücken zur Westorientierung, zu Mitgliedschaften in EU und Nato entschlossen haben. Vor diesem Hintergrund redet sich ein Hoeneß um "Krim und Kragen", wie es die "Bild" formulierte, wenn er die Sichtweise Russlands vom bösen Vorrücken der Nato übernimmt. Ganz so, als habe die Ukraine alle Rechte eines souveränen Staates, solange sie von Russland gewährt werden. Andererseits: Hoeneß ist nicht allein. 95 Prozent der Deutschen halten es für wichtig bis sehr wichtig, dass Russland und die EU sich politisch wieder annähern.

Zudem hat sich die Lage auch faktisch weiterentwickelt. Eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ist nicht mehr möglich, weil Putin auf Dauer einen ungelösten territorialen Konflikt in die Region gepflanzt hat. Auf dieser Grundlage könnte man tatsächlich - ohne Aufgabe grundsätzlicher Positionen - zu einer Neukonstruktion der Beziehungen kommen. Eine Lesart, wonach Putin wegen der militärischen Schwäche der Ukraine zu seinem Völkerrechtsbruch animiert worden sei, hat jedenfalls zu Konsequenzen geführt: Die Nato hat ihre Präsenz im Baltikum verstärkt, um deutlich zu machen, dass diese drei unabhängigen Staaten für eine Lösung nach Art der Krim nicht infrage kommen.

Darüber hinaus ist jetzt das Fenster der Möglichkeiten geöffnet. Das Krim-Manöver hat Putin 2014 die Olympischen Spiele in Sotschi verhagelt. Jetzt will er eine glanzvolle Fußball-WM. Das sollte ihm politisch auch etwas wert sein.

(may-)
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