Hauptstadt-Bericht Auf der Rutschbahn von Bonn nach Berlin

Bonn/Berlin · Die Bundesbeauftragte Barbara Hendricks hat ihren Bericht zum doppelten Regierungssitz vorgelegt. Darin liefert sie vor allem Zahlen - eine Empfehlung spricht die SPD-Ministerin nicht aus.

Regierungssitz: Auf der Rutschbahn von Bonn nach Berlin
Foto: Zörner

Diesmal ist Barbara Hendricks weitaus vorsichtiger als vor einem Jahr. Die Frage, wie es weitergehen soll mit der Regierungsaufteilung zwischen Bonn und Berlin, lässt die SPD-Bundesministerin für Bauen und Umwelt ausdrücklich offen, als sie der Presse ihren Bericht zum Stand des Bonn-Berlin-Umzugs vorstellt. Mit ihrem Zahlenwerk wolle sie die Diskussion versachlichen, betont sie. Eine Empfehlung für weiteres Handeln werde sie nicht geben.

Vor einem Jahr war die SPD-Politikerin weitaus offensiver und machte aus ihrer Sympathie für einen Komplettumzug der Bundesministerien nach Berlin keinen Hehl. Dies sei "eine mittel- bis langfristige Aufgabe", sagte sie damals dem "Kölner Stadt-Anzeiger" und fügte unmissverständlich hinzu: "So wie es ist, kann und wird es nicht bleiben." Bonn müsse zwar für alle Bediensteten genügend Arbeitsplätze bieten - aber "nicht zwingend in Ministerien".

Würde sich also der Rutschbahn-Effekt noch verstärken? Der Schock saß tief in der Region Bonn. Hendricks, die selbst vom Niederrhein stammt, musste sich böse Kommentare gefallen lassen. Die NRW-Staatskanzlei von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) verwies energisch auf den Koalitionsvertrag von Union und SPD, in dem es heißt: "Wir stehen zum Berlin-Bonn-Gesetz." Dieses Gesetz aus dem Jahr 1994 besagt, dass "der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien" in Bonn bleiben soll.

"Sogwirkung" auf übrige Beschäftigte

Die Wirklichkeit sieht inzwischen anders aus. Zum Stichtag 31. Dezember 2015 waren 12.654 Mitarbeiter von Bundesministerien in Berlin beschäftigt und 7.030 in Bonn. Das Verhältnis beträgt demnach 65 zu 35 Prozent. Diese Entwicklung hat laut Hendricks mehrere Gründe, darunter die gesetzlich geforderte Ansiedlung vor allem der Leitungsebene in Berlin und die daraus folgende "Sogwirkung" auf die übrigen Beschäftigten - eben der berühmt-berüchtigte Rutschbahn-Effekt. Hinzu komme, dass nach allen bisherigen Erfahrungen Neueinstellungen vermehrt am Dienstort Berlin erfolgten.

Inzwischen haben acht Ministerien ihren Hauptsitz in Berlin; für sechs ist Bonn der erste Dienstsitz. Dazu gehört auch das Bundesministerium von Barbara Hendricks. Ihren Zahlen zufolge ging in Bonn umzugsbedingt die Zahl der Stellen in den Ministerien zwischen 2000 und 2015 um etwa 3800 zurück. Zugleich aber stieg die Stellenzahl in den übrigen Einrichtungen des Bundes im selben Zeitraum um knapp 6000. Per Saldo, so die Ministerin, gebe es also für Bonn ein Plus von rund 2200 Stellen.

Die Zusammenarbeit zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn funktioniere, betont Hendricks. Allerdings kann sie sich einen kritischen Unterton nicht verkneifen: "Es gibt Effizienzverluste." Sie meint damit vor allem die Hin- und Herfliegerei der Beschäftigten, die nach Lage der Dinge aber unerlässlich sei, da die persönliche Anwesenheit bei einer Besprechung durch kein technisches Hilfsmittel zu ersetzen sei. Allerdings flögen ungleich mehr Mitarbeiter von Bonn nach Berlin als umgekehrt, erklärt Hendricks. Wer will, mag darin einen Hinweis darauf erkennen, dass die eigentliche Musik eben doch in Berlin spielt.

"Das Berlin/Bonn-Gesetz hat sich überlebt"

Der Abschlussbericht der Ministerin stößt auf unterschiedliches Echo. Landtagsvizepräsident Gerhard Papke (FDP) vermisst klare Handlungsempfehlungen, "wie die beiden Bundeszentren weiterentwickelt werden können". Steuerzahler-Präsident Reiner Holznagel wiederum fordert die Bundestagsabgeordneten auf, den Hendricks-Bericht zum Anlass zu nehmen, jetzt den Komplett-Umzug nach Berlin zu forcieren. "Das Berlin/Bonn-Gesetz hat sich überlebt", sagt Holznagel. "Die Zweiteilung muss beendet werden, weil die Regierungsarbeit einen zentralen Standort braucht - und das ist Berlin."

Durch die permanente Verlagerung von Personal nach Berlin habe die Politik einerseits Tatsachen geschaffen, andererseits unterhalte aber jedes Ministerium noch einen Zweitsitz in der jeweils anderen Stadt. "Diese Symbolpolitik geht zulasten der Steuerzahler", kritisiert Holznagel. "Die Bürger müssen die Zwangsteilung mit bis zu 20 Millionen Euro pro Jahr bezahlen." Nach einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Steuerzahlerbundes wollen 83 Prozent der Deutschen in Ost wie West, dass ihre Regierung endgültig in die Hauptstadt ziehe.

Bundestagsabgeordnete, die ihren Wahlkreis in Bonn oder in der Region haben, plädieren dagegen anders als der Steuerzahlerbund für den dauerhaften Verbleib von Regierungsstellen in Bonn. "Ich bin der Auffassung, dass die Grundsatzentscheidung zur Arbeitsteilung zwischen den Standorten Berlin und Bonn zurzeit nicht infrage gestellt werden kann", sagt die baupolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Marie-Luise Dött aus Nordrhein-Westfalen.

Die Bonner Grünen-Politikerin Katja Dörner kritisiert, dass die Kosten für einen weiteren Umzug im neuen Bericht nicht ins Verhältnis zu den vermeintlichen Effizienzverlusten gesetzt worden seien. "Da der Bericht nichtsdestotrotz belegt, dass die Arbeitsteilung gut funktioniert, muss er genutzt werden, den Rutschbahn-Effekt zu stoppen, Planungssicherheit herzustellen und die Einhaltung des Bonn-Berlin-Gesetzes zu forcieren."

Der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) hat bereits an Bundeskanzlerin Angela Merkel appelliert: "Bitte sorgen Sie dafür, dass weitere Umzugsdebatten gestoppt werden." Die Stadt Bonn sowie die Kreise Rhein-Sieg und Ahrweiler hatten bereits im Sommer gemeinsam gefordert, dass sämtliche Ministerien, die auch jetzt schon ihren ersten Dienstsitz in Bonn haben, ihn auch dort behalten.

(mar)
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