Jamaika-Sondierungen "Heimat" ist das neue Modewort

Berlin · Die erste von zwei Sondierungsrunden für ein Jamaika-Bündnis ist vorbei. Gemeinsame Linien gibt es nur wenige, dafür mehr Streit als Lösungen. Wir wagen eine erste inhaltliche Bilanz.

"Wir haben im Moment wahnsinnig viele Punkte aufgeworfen. Wir haben gefühlte 80 Themen, die wir noch lösen wollen", sagte der Chef der Jamaika-Koalition in Kiel, Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), am Rande der Sondierungsgespräche am Freitag. In der Detailtiefe sei man schon fast bei Koalitionsverhandlungen angekommen. Eine erste inhaltliche Bilanz:

  • Finanzen Die Steuerschätzung am kommenden Donnerstag dürfte bei den Jamaika-Unterhändlern Ernüchterung auslösen. Wahrscheinlich werden einschließlich der bisher geplanten Etatüberschüsse bis 2021 nur 35 Milliarden Euro für Steuerentlastungen und Mehrausgaben zur Verfügung stehen. Die Verhandler haben aber Wünsche über 100 Milliarden Euro aufgelistet. Sie werden also eine Liste mit Prioritäten definieren müssen. Alles darüber Hinausgehende stünde unter Vorbehalt, denn alle Parteien wollen an der schwarzen Null festhalten. Der Einstieg in den Abbau des Solidaritätszuschlags dürfte zu den Prioritäten gehören - ebenso Investitionen in den Glasfaserausbau und mehr Kindergeld.
  • Klima Eine der härtesten Nüsse für Jamaika: Die Klima-Verhandlungen sind trotz mehrerer Runden festgefahren. Auch eine kleinere Neuner-Runde, bei der die Grünen den Wirtschafts-Staatssekretär Rainer Baake und die FDP den Geschäftsführer des Bundesverbandes der Energiewirtschaft, Stefan Kapferer, hinzugezogen hatten, kam nicht voran. Die Grünen fordern, die 20 emissionsstärksten Braunkohle-Kraftwerke vom Netz zu nehmen, damit Deutschland sein Klimaziel von minus 40 Prozent Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber 1990 noch einhalten kann. FDP und Union lehnen das strikt ab. Sie halten dagegen, der Strom müsse sicher und bezahlbar bleiben.
  • Migration Beim Thema Zuwanderung sieht die Bilanz genauso mager aus wie in der Klima-Frage. Während die Grünen auf Familiennachzug pochen und diesen als wichtige Grundlage auch für Integration sehen, dringen Union und FDP auf eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen. Das bislang magere Ergebnis überrascht nicht, gelten Einwanderung und Flüchtlingspolitik doch als eines der schwierigsten Themen für Jamaika.
  • Arbeit und Soziales Auf diesem Feld konnten Union, FDP und Grüne schon eine gemeinsame Richtung finden. So hielten sie fest, dass die Beiträge zur Sozialversicherung unter 40 Prozent bleiben sollten. Der Mindestlohn soll bleiben, aber auf seine Bürokratietauglichkeit hin überprüft werden. Der Renteneintritt soll flexibilisiert und die Erwerbsminderungsrenten sollen verbessert werden. In der Gesundheit sehen die Parteien bei der Notfallversorgung Handlungsbedarf.
  • Ländliche Räume "Heimat" ist das neue Modewort der Jamaika-Unterhändler. Das Problembewusstsein, dass die grundgesetzlich vorgegebene Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse verloren zu gehen droht, ist gegeben. Daher gibt es nach der ersten Sondierungsrunde den Konsens, die Kommunen zu stärken und künftig möglicherweise Aufgaben von Bund und Ländern gemeinsam übernehmen zu lassen.
  • Verkehr Die Grünen fordern eine Mobilitätswende hin zum emissionslosen Verkehr. Autos mit fossilem Verbrennungsmotor sollen deshalb ab 2030 nicht mehr neu zugelassen werden. Ein solches Verbot lehnen Union und FDP jedoch strikt ab. Sie bleiben aber eigene Vorschläge zur Schadstoffreduktion schuldig. Auch Diesel-Fahrverbote will Schwarz-Gelb verhindern. Die Grünen sind auch dagegen, pochen aber auf Luftverbesserungen. Dabei könnte die Einführung der "Blauen Plakette" helfen. Wer sie nicht hat, könnte dann in bestimmte Innenstadtbereiche nicht mehr einfahren.
  • Außen und Verteidigung Hieran werde eine Koalition nicht scheitern, meinen die Verhandler, haben aber noch dicke Brocken vor sich. Korrekturbedarf haben die Grünen bei einigen Auslandseinsätzen, grundsätzliche Bedenken gegen die Mittelmeermission. Auch die FDP will das Afghanistan-Mandat überprüfen. Deutlich mehr Verteidigungsausgaben machen Union und FDP mit, die Grünen nicht. Auch die Kampfdrohnen haben wenig Chancen, und bei den Rüstungsexporten, sagen Verhandler voraus, würden noch "die Fetzen fliegen". Bei Waffen für Saudi-Arabien zuallererst.
(kd / mar / -may / qua)
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