Das Ringen in Berlin Jamaika-Sondierung im November-Regen

Berlin · CDU, CSU, FDP und Grüne tun sich weiter immens schwer bei den Jamaika-Sondierungen. Die Unterhändler ringen seit dem Morgen darum, sich in einer Reihe von strittigen Fragen doch noch zu einigen. In der Nacht könnten Entscheidungen fallen.

 Die Journalisten warten im Regen auf Ergebnisse der Verhandlungen.

Die Journalisten warten im Regen auf Ergebnisse der Verhandlungen.

Foto: dpa, tba

Über Berlin hängen dicke Regenwolken. Als man durch die Glasfront der hell erleuchteten baden-württembergischen Landesvertretung erkennt, dass CDU-Chefin Angela Merkel nun ein Papier in den Händen hält, ist es 16.20 Uhr. Draußen ist es fast dunkel. Die Kanzlerin zieht sich mit ihren Leuten zurück, auch die anderen Parteien beginnen mit internen Beratungen.

An diesem düsteren Novembertag verhandeln Union, FDP und Grüne zunächst in der CDU-Parteizentrale, bevor sie am späten Vormittag in der Landesvertretung Baden-Württembergs am Tiergarten ihre Gespräche fortsetzen. Das Wochenende, an dem eigentlich schon die Parteigremien über ein gemeinsam gefundenes Sondierungsergebnis beraten sollten, ist geprägt von gegenseitigen Anwürfen, Rückschritten, Misstrauen, neuen Anläufen und Schuldzuweisungen.

Der härteste Knackpunkt: die Flüchtlingspolitik

Als härtester Knackpunkt erweist sich die Flüchtlingspolitik und insbesondere die Frage, ob Flüchtlinge, die nur für begrenzte Zeit in Deutschland bleiben dürfen, ihre engsten Angehörigen nachholen dürfen. Als sich CSU-Chef Horst Seehofer gesprächsbereit zeigt, sind es die Liberalen, die sich auf die Bremse stellen. Daraufhin soll der CSU-Chef auch einen Rückzieher gemacht haben, weil er sich von der FDP wiederum nicht "rechts" überholen lassen wolle. Danach werden nur noch "letzte Angebote" über den Tisch gereicht.

Doch die Verhandlungen kommen nur im Krebsgang voran: Zwei Schritte vor, einer zurück. Am späten Sonntagnachmittag erklärt der CSU-Politiker Hans Michelbach den wartenden Journalisten vor der Landesvertretung, dass die FDP auf voller Umsetzung des CDU/CSU-Regelwerks zur Migration bestehe.

Während der gesamten Zeit der Sondierungen zeigte sich immer wieder ein Muster, das auch an diesem Wochenende durchscheint: CDU und Grüne wollen unbedingt ein Jamaika-Bündnis, während sich bei CSU und Liberalen konstruktive Töne und harte Attacken gegen die Grünen abwechseln. Dann aber zeigen sich die anderen über ein Interview von Grünen-Unterhändler Jürgen Trittin in der "Bild am Sonntag" verärgert. "Die Differenzen sind fast größer geworden", bescheinigte er seinen Mitstreitern und machte klar, dass die Grünen an ihre "Schmerzgrenze" gegangen seien.

Alles hängt am Familiennachzug

In den dramatischen Stunden am Sonntagnachmittag hängt alles am Thema Familiennachzug. Wenn dort eine Einigung gelinge, sei diese auch in der Klima-Frage möglich, heißt es aus Verhandler-Kreisen. Andere spekulieren, dass die FDP bei der Migration zu Zugeständnissen bereit sein könnte, wenn sie bei der Bildung und bei den Finanzen mehr erreicht.

Die jüngsten Umfragezahlen haben auch die Sondierer gelesen. Danach würden sich die Wähler nicht sonderlich anders verhalten, wenn sie neu wählen müssten. Also sähen sich die Verhandler im selben Format wieder. Wenn man sich die Alternativen ansehe, dann gelte vor allem eines: "Sich zusammenreißen und was hinbekommen", appelliert CDU-Unterhändlerin Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz. Sie könnte sich auch eine andere Sonntagabend-Beschäftigung vorstellen: "Wir könnten jetzt alle ins Kino gehen", meint sie für den Fall, dass die Beteiligten glaubten, es nicht hinzukriegen.

Während einer langen Beratung im kleinen Kreis der Parteichefs treffen immer mehr weitere Sondierer ein. Armin Laschet etwa, der CDU-Regierungschef aus NRW, der mit FDP-Chef Christian Lindner vor der Sommerpause überraschend geschmeidig ein schwarz-gelbes Bündnis hinbekommen hat. Wird er Lindner beim Soli zu Zugeständnissen bringen?

Während die kleine Runde läuft, suchen andere das Gespräch. Da stehen die grün-schwarzen Winfried Kretschmann und Thomas Strobl aus Stuttgart mit dem Jamaika-Politiker Robert Habeck aus Kiel zusammen. Sie gestikulieren stark. Die Gesichtszüge verraten, dass im Bund offenbar noch nicht gelungen ist, was sie in den Ländern praktizieren.

Für heute Schluss machen? Ganz sein lassen?

Der Nachmittag ist geprägt von der Überlegung, es endlich ganz sein zu lassen oder aber für heute Schluss zu machen und sich weitere Zeit zu Beratungen und Verhandlungen zu nehmen. Alle spüren, dass dieses Mal die Sondierungen auch deshalb so schwierig sind, weil die Grünen ein vorzeigbares, substanzielles und detailliertes Papier für ihren Parteitag haben wollen. Deshalb könnten die letzten Konfliktpunkte, die ansonsten am Ende von Koalitionsverhandlungen stehen, nun alle vorweggenommen werden, so dass es dann mit den eigentlichen Verhandlungen ganz schnell gehen könnte.

Doch erst einmal geht nichts. Um 18 Uhr kommen die Parteichefs aus den Beratungen mit ihren Gruppen erneut im kleinen Kreis zusammen. Die 50 anderen Sondierer halten sich für eine große Runde bereit. Vier Mikrofone sind im Foyer der Landesvertretung aufgebaut. Ob die Generalsekretäre einen Durchbruch, ein Scheitern oder eine neuerliche Vertagung verkünden werden, ist um diese Zeit noch völlig offen.

22.45 Uhr: Die Kanzlerin unterrichtet die Union über den Zwischenstand der Verhandlungen. Dann geht es weiter. Die einzige Veränderung seit Beginn der Marathon-Sondierungen: Das Wetter ist kälter und nasser geworden. Also weiter vom Jamaika-Klima entfernt.

(may- / qua)
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