Jürgen Trittin im Interview "Verursacherprinzip beim Atommüll steht nicht zur Disposition"

Berlin · In Berlin traf sich am Donnerstag zum ersten Mal die von der Bundesregierung ins Leben gerufene neue Atomkommission. Unsere Redaktion sprach mit einem der drei Vorsitzenden der Kommission, dem früheren Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne).

 Jürgen Trittin sprach mit unserer Redaktion.

Jürgen Trittin sprach mit unserer Redaktion.

Foto: dpa, Bernd von Jutrczenka

Sie soll der Regierung bis Ende Februar eine Empfehlung abgeben, wie der Staat die Atom-Rückstellungen der Stromkonzerne in Höhe von 38 Milliarden Euro langfristig für die Allgemeinheit sichern kann. Denn befürchtet wird, dass die Rückstellungen für den Atommüll verloren gehen könnten, sollte ein Unternehmen etwa pleitegehen.

Wie war die erste Sitzung?

Trittin Wir haben den Auftrag zu überprüfen, ob die Finanzierung des Rückbaus der Atomkraftwerke und der Entsorgung des Atommülls durch die Verursacher tatsächlich gesichert ist. Dafür haben wir uns ein ambitioniertes Arbeitsprogramm vorgenommen. Und das in einer sehr konstruktiven Atmosphäre.

Wann wollen Sie fertig sein?

Trittin Das Ziel ist, dass wir Ende Februar der Bundesregierung den Bericht übergeben.

Sollen die Milliarden-Rückstellungen der Stromkonzerne in eine öffentlich-rechtliche Stiftung oder einen Fonds überführt werden?

Trittin Die Kommission hat sich vorgenommen zu prüfen, was die bisherigen Erkenntnisse der Bundesregierung sind, die ja auf zwei von ihr beauftragten Gutachten beruhen. Wir werden uns genauso die Positionen der Unternehmen anhören, ebenso die von wichtigen Teilen der Zivilgesellschaft, das geht vom Bund der Steuerzahler bis hin zu Umwelt- und Branchenverbänden. Dann schauen wir uns die rechtlichen Fragen an. Wir schauen uns auch an, wie sind die Rückstellungen vor dem Hintergrund der Kapitalmarktentwicklung zu bewerten. Wir werden uns praktisch vor Ort, wahrscheinlich in Obrigheim, anschauen, wie so ein AKW-Rückbau eigentlich abläuft. Am Ende vergleichen wir die vorliegenden Lösungsmodelle und erst dann geben wir eine Empfehlung ab.

Dürfen Sie jetzt als Co-Vorsitzender noch sagen, was Sie als Grünen-Politiker persönlich befürworten würden?

Trittin Es gibt ja keine Sprechverbote. Aber die drei Vorsitzenden der Kommission haben die Aufgabe, den Prozess zu steuern. Es würde unsere Aufgabe erschweren, sich vor Ende des Abstimmungsprozesses auf ein Modell festzulegen. Wir haben heute beschlossen, am Ende eine möglichst einvernehmliche Empfehlung abzugeben. Die Modelle sind oft gar nicht so unvereinbar.

Soll das Verursacherprinzip beim Atommüll weiter für alle Ewigkeit gelten?

Trittin Unser Auftrag ist, die sichere Finanzierung unter Wahrung des Verursacherprinzips zu prüfen. Das Verursacherprinzip ist integraler Bestandteil des Auftrags durch die Bundesregierung wie der Koalitionsvereinbarung. Es steht nicht zu unserer Disposition.

Heißt das, die Konzerne können nach der möglichen Ausgliederung der Atom-Rückstellungen nicht aus der Haftung entlassen werden?

Trittin Noch mal: Es gilt das Verursacherprinzip. Die Frage ist, wie man es hinbekommt, eine Lösung so zu gestalten, dass es auch vor dem Hintergrund vorhandener unternehmerischer Risiken weiter real greift. Wir haben nicht den Auftrag, die Unternehmen aus der Verantwortung für Rückbau und Entsorgung zu entlassen. Es geht also um das Wie, nicht um das Ob.

Reichen die 38 Milliarden Euro an Atom-Rückstellungen, die die Konzerne gebildet haben?

Trittin Das werden wir auf der nächsten Sitzung am 16. November mit den Gutachtern der Stresstests diskutieren. Es gibt sehr unterschiedliche Reaktionen auf diese Stresstests. Die Börse hat sehr euphorisch darauf reagiert, andere haben gesagt: Na, ob das Anlass zur Euphorie war. Wir schauen uns das genau an.

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