Interview mit Erzbischof Reinhard Marx "Atomenergie ist Teufelszeug"

München/Düsseldorf (RP). Der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, spricht mit unserer Redaktion über die Arbeit der Ethikkommission Kernenergie, den Militäreinsatz in Libyen, die Embryonenforschung, die Missionierung Deutschlands, den Papst-Besuch im September und die Ökumene.

 Der Münchener Erzbischof Reinhard Marx spricht sich gegen die Atomkraft aus.

Der Münchener Erzbischof Reinhard Marx spricht sich gegen die Atomkraft aus.

Foto: ddp, ddp

Sie sind Mitglied der neuen Ethikkommission Atomenergie. Kann man eigentlich verantwortlich handelnder Christ und zugleich Verfechter der Atomenergie sein?

Marx So einfach schwarz-weiß ist es nicht. Man muss abwägen. Allerdings hat bereits Kardinal Höffner 1980 auf die ungeheuren Risiken der Atomenergie, auf die unabschätzbaren Folgen für kommende Generationen hingewiesen und klar gesagt, dass eine solche Technik dann nicht akzeptabel ist. Insofern ist die kirchliche Mehrheits-Position, aus dieser Energiegewinnung auszusteigen. Die Atomkraftwerke sind jedoch leider in der Welt, jetzt müssen wir konsequent den Weg beschreiten, zu anderen Formen der Energie-Erzeugung zu kommen.

Ist Atomenergie "Teufelszeug", wie es der frühere Bundeskanzler Willy Brandt hauptsächlich mit Blick auf Kernwaffen ausdrückte?

Marx Ja, da ist was dran. Wir dürfen keine Kräfte entfesseln, deren Risiken auch im Blick auf die Endlagerung sich über Generationen hinweg nicht beherrschen lassen. Die Nutzung der Kernenergie auf Dauer überschreitet eine Grenze, die der Mensch nicht überschreiten darf. Es müsste auch gerade konservativen Parteien wie der Union längst als viel vernünftiger erscheinen, aus der Kernenergie auszusteigen. Das haben manche Konservative lange Zeit falsch gesehen. Maß und Mitte ist ihnen etwas aus dem Blick geraten, bei aller Wichtigkeit technischen Fortschritts.

Das gilt auch für Embryonenforschung?

Marx So ist es. Auch hier überschreiten wir eine Grenze, wenn wir zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben unterscheiden wollen. Das steht dem Menschen nicht zu.

Was sagen Sie zum militärischen Einsatz unter der Führung der Nato in Libyen?

Marx Waffeneinsatz als Nothilfe für Menschen, die sonst massakriert würden — das erscheint mir nachvollziehbar. Aber Krieg führen, um einen Diktator abzusetzen — da hätten wir viele Anlässe für militärisches Einschreiten.

Der deutsche Papst Benedikt XVI. besucht vom 22. bis 25. September seine Heimat zum dritten Mal. Und wiederum kommt er in ein Missionsgebiet, oder?

Marx Das stimmt. Deutschland ist Missionsgebiet. Wir müssen das Evangelium hier neu verkünden. Da kann Benedikts Besuch Zeichen setzen.

Haben wir eine Kirchenkrise, eine Glaubenskrise oder beides?

Marx Wir haben wohl eher eine Krise unserer Verkündigung, unseres Zeugnisses, das viele nicht wirklich erreicht. Wir müssen uns fragen, ob unsere Rede von Gott zu banal und anspruchslos ist, ob unsere Gebete und Gottesdienste etwas aufscheinen lassen vom Geheimnis Gottes und der Faszination des Glaubens. Wir haben als Kirche die Aufgabe, den Menschen Zugänge zu diesem Geheimnis zu eröffnen.

"Was bringt mir das?", fragen manche, wenn von Glaube die Rede ist. Ihre Antwort?

Marx Unsere Herausforderung als Kirche besteht darin, den Menschen nahezubringen, dass der Glaube ein Qualitätssprung ist, eine Lebensbereicherung, eine Horizont-Erweiterung, das größte Abenteuer des menschlichen Geistes, und dass diese Öffnung am besten in der Gemeinschaft des Volkes Gottes geschehen kann.

Was kann der Papst tun?

Marx Personen sind wichtig für die Weitergabe des Glaubens. Das gilt für den Papst, die Bischöfe, die Pfarrer, die Eltern. Ich kann gut verstehen, dass die Menschen vor allem ein Gesicht, eine Person als entscheidend ansehen und weniger die Institution, die dahinter steht. Beim Papst kommt hinzu: Er ist aus Deutschland, er tritt bescheiden auf. Ich glaube, dass auch Menschen, die nicht katholisch sind, doch ein bisschen stolz darauf sind, wie der deutsche Papst in der Welt wahrgenommen wird und in kluger, überzeugender Weise predigt, ohne triumphalistisch aufzutrumpfen. Ich hoffe zum Beispiel, dass seine Botschaft, dass die Freiheit nur überlebt, wenn sie sich auf die Wahrheit bezieht, und dass eine freie Gesellschaft Grundlagen haben muss, die nicht einfach der Mehrheitsmeinung überantwortet werden dürfen, auch beim Deutschland-Besuch die Menschen erreicht.

Hat das Kasino des Weltfinanzkapitalismus wieder geöffnet?

Marx Ich finde es erschütternd, wie schnell die Ursachen der Weltfinanzkrise vergessen sind. Viele sind in die alten Gleise zurückgekehrt. Ich hoffte, dass diese Krise wirklich zu einem Lernort geworden wäre. Der Finanzkapitalismus ist wieder im Kommen, deshalb habe ich große Sorge. Wo bleiben Risikobeteiligung, Haftung, Verantwortung? Haftung und Risiken werden im Zweifel sozialisiert, das erstaunt mich sehr. Die politischen Signale sind falsch gesetzt, weil die Akteure den Eindruck bekommen dürfen, dass letzten Endes Rettungs-Schirme aufgespannt werden.

Wie steht's um die Ökumene?

Marx Wir wünschen uns als katholische Kirche eine Einheit der Christenheit mit dem Papst und den Bischöfen. Darauf können wir nicht verzichten. Auf dem Weg zur Einheit können Katholiken und Protestanten vieles miteinander tun. Ich freue mich über jeden Erfolg der evangelischen Kirche. Für mich ist echte Ökumene, den evangelischen Christen zu sagen: Wo immer ihr vorankommt mit der Verkündigung des Glaubens — danke schön. Und ökumenisch wäre es, wenn die evangelische Kirche uns sagt: Wenn der Papst-Besuch im September zur Festigung des Glaubens beiträgt — ebenfalls danke schön.

Reinhold Michels führte das Gespräch.

(RP)
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