Radioaktiver Abfall Atomendlager für eine Million Jahre

Berlin · Die Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Abfall wird bis mindestens 2030 dauern. Eine Kommission legte nun die Kriterien dafür vor. Doch die Bundesländer betreiben schon fleißig ihr Schwarzer-Peter-Spiel.

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Foto: dapd

Vor einer Million Jahren gab es noch keinen Homo Sapiens auf diesem Planeten. Die Steinzeit dauerte noch an, unsere Urahnen nutzten primitive Werkzeuge, an die Verarbeitung von Metall war noch lange nicht zu denken, schon gar nicht an die Industrialisierung und ihre Folgen für die Energiegewinnung. Das verdeutlicht, mit welchen enormen Dimensionen die Endlagerkommission des Bundestages in den vergangenen zwei Jahren zu tun hatte. Sie hat für die nun bevorstehende Suche nach einem deutschen Atomendlager Kriterien erarbeitet. Oberste Prämisse: Aus dem Lager an dem noch unbekannten Standort darf keine Strahlung entweichen, die Mensch und Natur gefährden kann. Und zwar mindestens eine Million Jahre lang.

So weit, so schwer. Schließlich sollen in einigen Jahrzehnten rund 30.000 Kubikmeter hoch radioaktiven Abfalls irgendwo in Deutschland eingelagert werden. Das entspricht in etwa dem Inhalt von zehn olympischen Schwimmbecken oder 6000 Castoren, bei einer anhaltenden Temperatur des Mülls von weit mehr als 100 Grad Celsius. Hinzu kommen weitere 300.000 Kubikmeter — also 100 zusätzliche Schwimmbecken — an schwächer strahlendem Abfall, wie er derzeit zum Beispiel im berüchtigten Lager Asse zu finden ist.

Am Dienstag legt die Kommission ihren Abschlussbericht zu den erforderlichen Kriterien Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) vor. In dem mehr als 680 Seiten umfassenden Papier, das unserer Redaktion vorab vorliegt, kommt zum Ausdruck, wie sehr die einzelnen Akteure in der 16-köpfigen Kommission miteinander gerungen haben. Vertreter von Union, SPD, Linken und Grünen, Wirtschaft, Wissenschaft und Umweltverbänden kämpften mit diesen Fragen: Welche Vorgaben werden hinsichtlich der Gesteinsarten und -vorkommen gemacht, die für die Einlagerung des gefährlichsten Atommülls infrage kommen sollen? Wie soll das Verfahren ablaufen? Und soll der Kriterienkatalog so gestaltet werden, dass Standorte wie das politisch hochumstrittene Gorleben von vornherein durch das Raster fallen?

Am Ende steht nun ein Kompromiss, dem 14 Kommissionsmitglieder zustimmten und den nur der Umweltverband BUND ablehnt. Er folgt drei Leitsätzen: Erstens soll der bestmögliche und damit sicherste Standort für die Lagerung hoch radioaktiven Abfalls gefunden werden, zweitens soll in ganz Deutschland nach dem Prinzip der "weißen Landkarte" geforscht werden — also ohne konkrete Standorte wie Gorleben von vornherein auszuschließen und drittens soll eine umfassende Bürgerbeteiligung bei der Standortwahl erfolgen. Dazu wird ein sogenanntes Begleitgremium geschaffen und bis Jahresende ernannt, in dem auch Bürger sitzen werden, die zuvor aus einer Gruppe Freiwilliger zu losen sind. Zusätzlich gibt die Kommission nun vor, dass Bürger noch einmal gesondert beteiligt werden müssen, wenn bis voraussichtlich 2030 mehrere Standorte in einem engeren Auswahlverfahren verglichen werden.

Doch der Teufel des Verfahrens steckt im Detail und bietet den politischen Akteuren ausreichend Spielraum, um gegen ein Atomendlager in ihrem direkten Einflussgebiet anzukämpfen. Schließlich kommen nicht alle Gesteinsarten infrage, wenn es um ausreichenden Schutz vor atomarer Strahlung über einen so extrem langen Zeitraum geht. Nachdem die Kommission denkbare aber kaum umsetzbare Methoden wie etwa Raketentransporte des Atommülls in die Sonne verwarf, stehen nun mehrere Szenarien für die Lagerung in tiefen Gesteinsformationen zur Auswahl.

So soll in den kommenden Jahren nach geeigneten Vorkommen von Steinsalz, Tongestein und Granit (Kristallin) gesucht werden. Diese sogenannten Wirtsgesteine sollen die Hauptlast beim Abschirmen der Strahlung tragen - nicht etwa künstliche Behälter. So müsse ein Granitblock gefunden werden, der "hinreichend mächtig" ist, was im Bericht mit mindestens 100 Meter Dicke definiert wird. Ist das nicht möglich, soll über einem dünneren Granitblock zumindest eine mächtige Ton- oder Salzschicht lagern, um die Strahlung abzuhalten. Und falls beides nicht geht, müssten eben doch künstlich hergestellte Behälter die Hauptlast der Isolation tragen.

Doch bei der Bewertung dieser Szenarien wird bereits der politische Kampf um die Auslegung der Kriterien offenbar — das Schwarze-Peter-Spiel läuft bereits auf Hochtouren. So teilte die Unionsfraktion gestern mit, man rechne nicht damit, einen "hinreichend mächtigen" Granitblock zu finden (das wäre aufgrund der Geologie wohl nur im CSU-regierten Bayern oder CDU-regierten Sachsen denkbar) und wer Ton- und Salzschichten über Granitblöcken erproben wolle, verletze diese zwangsläufig, so dass sie nicht mehr vollständig dicht blieben. Man gehe daher davon aus, dass "am Schluss des Verfahrens kein Endlagerstandort im Kristallin in Deutschland gefunden wird", heißt es in einem Papier von CDU und CSU. Auch Bayerns Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) fand deutliche Worte: "Die Gesteine in Bayern sind nicht für ein Endlager geeignet - das gilt für Granit, Ton und Salz." Sie könnten die notwendige geologische Barriere-Wirkung nicht bieten, sagte Scharf.

Atom-Endlager: Granit, Ton oder Salz?
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Foto: AP, AP

Aus Niedersachsen kamen ähnliche Worte — aber bezogen auf das dortige Gorleben. Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) sagte, die neuen Sicherheitsanforderungen in Verbindung mit Vorgaben für die Fehlerkorrektur, die Maximaltemperatur und das Wirtsgestein seien in Gorleben "nicht zu realisieren". Angesichts dieser Grabenkämpfe zeigte sich Jörg Sommer, der für die Deutsche Umweltstiftung in der Kommission saß, pessimistisch: "Ich fürchte, wir werden auch 2050 noch kein Endlager befüllen können."

(jd)
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