Interview mit Annette Widmann-Mauz "Begriff der Leitkultur mag ich nicht sonderlich"

Berlin · Die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), erklärt im Interview mit unserer Redaktion, warum sie keine abstrakten Debatten führen möchte. Sie sagt auch, dass Asylbewerber nicht die neuen Fachkräfte sein können.

 Annette Widmann-Mauz (Archivbild).

Annette Widmann-Mauz (Archivbild).

Foto: dpa, cch jhe hjb

Was können Sie mit dem Begriff Leitkultur anfangen?

Widmann-Mauz Die Debatte darüber, welche Werte uns prägen und wie wir zusammenleben möchten, ist eine Selbstvergewisserung, die jeder Demokratie gut tut. Ich halte es für richtig, diese Diskussion zu führen. Grundlage für das Zusammenleben ist natürlich unser Grundgesetz, aber es gibt darüber hinaus auch ungeschriebene Regeln und Erwartungen, die anzuerkennen, wichtig für ein gutes Miteinander ist.

In dem Sinne sollte man über Leitkultur diskutieren?

Widmann-Mauz Ich mag den Begriff nicht sonderlich, denn er führt uns nicht weiter. Wir müssen uns vielmehr konkret darüber verständigen, was Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und Gewaltlosigkeit als Grundfesten unseres Zusammenlebens bedeutet.

Als Vorsitzende der Frauen Union haben Sie betont, die Integration laufe vor allem über die Frauen. Wie meinen Sie das?

Widmann-Mauz Ohne die Frauen kann Integration nicht gelingen. Die Teilhabe von Frauen in allen Lebensbereichen ist auch Voraussetzung dafür, dass eine Gesellschaft ihr demokratisches und auch wirtschaftliches Potenzial voll ausschöpfen kann. Außerdem nehmen Frauen in den Familien eine wichtige Rolle ein. Das Frauenbild, das dort gelebt wird, prägt auch die nächste Generation.

Nehmen die Frauen aus Flüchtlingsfamilien denn dafür ausreichend am gesellschaftlichen Leben teil?

Widmann-Mauz Gerade deshalb müssen wir Frauen stark machen, ihre Rechte wahrzunehmen. Dazu gehört auch, dass Sprach- und Integrationskurse und Arbeitsmarktmaßnahmen noch stärker auf Frauen ausgerichtet werden. Länder wie Bayern führen jetzt Mother-Schools ein, also spezielle Integrationsangebote für Mütter. Auch das werde ich mir ansehen.

Es gibt immer wieder Kritik, dass die Integrationskurse nicht effizient sind . . .

Widmann-Mauz Wir brauchen eine ehrliche Zwischenbilanz, wo wir bei der Integration stehen. Dabei müssen alle Integrationsmaßnahmen auf den Prüfstand. Wir müssen uns ansehen: Mit welchen Maßnahmen erreichen wir die Menschen wirklich? Welche müssen wir anders ausrichten? Und diese Überprüfung muss auch mit Forschungsaufträgen einhergehen. Das werde ich zügig angehen. Und ich möchte von den Verantwortlichen vor Ort auch erfahren, wie gut die Integrationsvereinbarungen funktionieren, die mit Zuwanderern in den Kommunen geschlossen werden.

Integration ist vor allem Sache von Kommunen und Ländern. Was tut der Bund?

Widmann-Mauz Der Bund steht zu seiner Verantwortung: mit allein acht Milliarden Euro für die Versorgung und Integration von Flüchtlingen in den Ländern und Kommunen, aber auch durch mehr Unterstützung bei der Bildung allgemein. Und wir werden eine Kommission einsetzen, die die Kriterien für gelingende Integration entwickelt. Das beginnt bei der ausreichende Versorgung mit Kita-Plätzen, Schulen und Wohnungen. Das kommt der gesamten Gesellschaft zugute.

Sollten auch Menschen integriert werden, die in Deutschland nur geduldet sind?

Widmann-Mauz Wer eine Duldung, etwa aus humanitären oder persönlichen Gründen hat, hat schon heute Zugang zu Integrationskursen und Ausbildungsförderung — und das ist auch richtig. Ich halte es für wichtig, dass Menschen, die sich länger in Deutschland aufhalten, auch Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen. Das nutzt allen — und eröffnet auch im Falle einer Rückkehr ins Herkunftsland neue Chancen.

Sehen Sie die als Flüchtlinge angekommenen Menschen auch als mögliche Fachkräfte?

Widmann-Mauz Anerkannte Flüchtlinge haben alle Möglichkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Und viele nutzen diese ja auch, etwa indem sie eine Ausbildung zur Fachkraft machen. Die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen sollte aber nicht mit der Fachkräftezuwanderung vermischt werden. Denn das Asylrecht soll vor Verfolgung schützen. Wer zum Arbeiten nach Deutschland kommt, muss hingegen als Fachkraft mit Visum einreisen. Für diesen Fall wird die Bundesregierung jetzt das Fachkräftezuwanderungsgesetz auf den Weg bringen.

Nun gibt es aber viele Asylbewerber, die sich hier qualifiziert haben und von ihren Arbeitgebern geschätzt werden, also integriert sind. Sollten die eine Bleibeperspektive bekommen?

Widmann-Mauz Mit der Drei-Plus-Zwei-Regelung haben wir die Möglichkeit, dass zum Beispiel Geduldete, deren Asylantrag abgelehnt wurde, eine dreijährige Ausbildung beenden und zwei weitere Jahre in dem Betrieb arbeiten können. Das wollen wir jetzt auch auf staatlich anerkannte Helferausbildungen ausweiten.

Ein Statuswechsel vom Asylbewerber zum Arbeitsmigranten soll nicht möglich werden?

Widmann-Mauz Es gibt mit gutem Recht Härtefallregelungen für Menschen, die beruflich und gesellschaftlich hier Fuß gefasst haben, zum Beispiel als Pflegekraft oder im Handwerk. Trotzdem brauchen wir eine Politik, die gezielt Fachkräfte für den Arbeitsmarkt gewinnt. Dazu müssen wir jetzt das Fachkräftezuwanderungsgesetz schaffen und seine Wirkung nicht schon im Voraus schwächen.

Wie stehen Sie zu Kopftuch und Vollverschleierung?

Widmann-Mauz Wenn das Kopftuch als religiöses Bekenntnis getragen wird, ist das von der Religionsfreiheit gedeckt. Gleichzeitig gilt es die Neutralität des Staates zu wahren. In der Schule ist dieses Spannungsverhältnis klar zugunsten der Religionsfreiheit entschieden worden. Vollverschleierung ist für mich nicht mit Gleichberechtigung vereinbar. Gleichwohl muss das Thema ins richtige Verhältnis gesetzt werden, denn die allergrößte Mehrheit der Muslima in Deutschland trägt keine Vollverschleierung.

Eva Quadbeck führte das Gespräch.

(qua)
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