Nachwuchsmangel bei der Bundeswehr Angst vor Afghanistan

Berlin (RP). Angesichts zunehmend gefährlicher Auslandseinsätze findet die Bundeswehr immer weniger Freiwillige. Die Zahlen brechen ein, Offizieranwärter und Piloten quittieren den Dienst. Nicht nur attraktive Angebote außerhalb der Truppe stehen dahinter - auch die Furcht vor gefährlichen Einsätzen.

Presse: Afghanistan braucht neue Strategie
Infos

Presse: Afghanistan braucht neue Strategie

Infos
Foto: AP

Die Nachricht vom tödlichen Anschlag auf die Bundeswehr in Nordafghanistan erschütterte gestern nicht nur die 3500 deutschen Soldaten vor Ort und deren Angehörige. Sie erfasste die gesamte Bundeswehr. "Das lässt keinen kalt", berichtet ein führender Offizier. "Vor allem diejenigen nicht, die wissen, dass sie in diesem oder einem der nächsten Jahre selbst wieder unten sind." Und das sind Zehntausende. Denn die Truppe ist zur Armee im Einsatz geworden.

Lange Zeit war das Selbstbild der deutschen Soldaten von der letztlich beruhigenden Devise geprägt: "Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen." Jetzt müssen sie. Aber nicht alle wollen das.

Zehn Prozent

Rund zehn Prozent aller Offizieranwärter quittieren ihren Dienst schon wieder, bevor ihre Karriere richtig begonnen hat. Immer häufiger hören Vorgesetzte zur Begründung das Stichwort "Afghanistan". Wer ohnehin Zweifel hat, ob dieser Beruf das Richtige für ihn ist, der empfindet die Aussicht auf die Strapazen und Gefahren am Hindukusch leicht als Anlass zum Absprung.

Die letzten offiziellen Zahlen des Verteidigungsministeriums lassen daraus noch keine Beunruhigung entstehen: 11 500 Bewerber gab es vergangenes Jahr für 2000 Offizierlaufbahnen. Und auch bei den Mannschafts- und Unteroffizierdienstgraden war vor einem Jahr die Welt noch in Ordnung: Bedarf: 22 000. Bewerbungen direkt aus dem Berufsleben heraus: 31.000.

Einbruch

Ein aktuelles internes Papier lässt jedoch die Alarmglocken läuten: Im Jahresvergleich sind die Freiwilligenzahlen nach Informationen unserer Redaktion in diesem Jahr regelrecht eingebrochen. Je nach Teilstreitkraft um bis zu 62 Prozent. Da wird es dann doch schon eng.

Längst blickt die Bundeswehrführung mit Sorgenfalten auf die kleiner werdenden Jahrgänge. In der Konkurrenz mit attraktiven zivilen Jobs zieht die Truppe bei qualifiziertem Personal immer häufiger den Kürzeren.

Mangelnde Perspektiven

Aber nicht nur die schmaler werdenden Zugangszahlen machen der Bundeswehr zu schaffen. Besonders bei Ärzten und Piloten ist auch ein deutlicher Aderlass zu spüren. Drei Monate am Stück rund um die Uhr in Staub und Hitze und latenter Lebensgefahr in Afghanistan mit alten Maschinen für 3000 Euro Sold unterwegs sein? Oder mit geregeltem Dienst bei Übernachtungen in bequemen Hotels und immer wieder auch zu Hause mit modernen Jets für 9000 Euro leben? Kein Wunder, dass der Truppe die Piloten davonlaufen.

"Ich habe von meinen letzten vier Dienstjahren eines komplett in den ISAF-Einsätzen verbracht", rechnet ein Transportflieger vor, der nicht namentlich genannt werden möchte. Hinzu kämen pro Jahr weitere 180 Tage Abwesenheit. "Ich glaube nicht, dass die Perspektive besser wird." Wiewohl er seine Kameraden sicherlich vermissen wird, hat er sich jetzt zum Wechsel in die Zivilluftfahrt entschlossen. Er ist sich sicher: "Die Dunkelziffer derer, die sich um einen Job außerhalb der Bundeswehr bemühen, ist noch viel höher, als die tatsächliche Zahl der Abgänger vermuten lässt."

Mehrere Gründe

Selbst die ist schon beeindruckend. Allein die Flugbereitschaft soll in diesem Jahr bereits mindestens acht Kündigungen von Piloten bekommen haben. Experten schätzen, dass bei den Transport- und Marinefliegern inzwischen bis zu 30 Prozent der Crews fehlen.

Angst vor Afghanistan? "Es gibt keine Statistik über die Gründe für ein Ausscheiden aus der Truppe", sagt Bundeswehrverbandssprecher Wilfried Stolze. "Doch auch wir sehen das Phänomen." Selten sei aber "Afghanistan" der alleinige Anlass. Da komme meistens vieles zusammen. Zum Beispiel neue finanzielle Einschnitte bei denen, die ohnehin nicht viel verdienen: "Wenn das Weihnachtsgeld halbiert wird, gibt das einem Feldwebel schon zu denken."

(RPMANTEL)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort