Merkel erneut zur Kanzlerin gewählt Erstmals ist auch Herr Sauer dabei

Angela Merkel ist zum vierten Mal zur Kanzlerin gewählt worden - dieses Mal unter den Augen ihres Ehemanns. Aber sie startet mit einem Dämpfer in die neue große Koalition. Und für einen AfD-Politiker gibt es 1000 Euro Strafe.

 Mit einem Laptop in den Händen verfolgt Merkels Ehemann Joachim Sauer auf der Tribüne die Wahl der Bundeskanzlerin.

Mit einem Laptop in den Händen verfolgt Merkels Ehemann Joachim Sauer auf der Tribüne die Wahl der Bundeskanzlerin.

Foto: rtr, HAN/STN

Kein Wort, kein Lachen, kein Jubel. Schrecksekunde. Angela Merkel ist gerade zum vierten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt worden, aber im Bundestag halten sie den Atem an. Die Abgeordneten, die Zuschauer auf den Tribünen. Angela Merkels Ergebnis ist so schlecht, dass alle erst einmal im Kopf nachzurechnen scheinen, wie knapp die 63-Jährige an einem Scheitern vorbeigeschrammt ist.

355 Stimmen brauchte sie für die in diesem ersten Wahlgang erforderliche absolute Mehrheit der Mitglieder des Bundestags. 364 hat sie bekommen. Dabei hat die neue große Koalition 399 Mandate. Es ist eine geheime Wahl; insofern ist schwer zu sagen, wie viele Abgeordnete von CDU, CSU und SPD ihr die Unterstützung versagt haben. Erst als der Sitzungsleiter, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Merkel zu ihrer Wahl beglückwünscht, kommt wieder Leben ins Parlament. Es wird applaudiert, aber zaghaft und kurz. Die Kanzlerin startet mit einem schweren Dämpfer. Aufbruch sieht anders aus.

Auf der Tribüne sitzt an diesem Tag ihr Mann Joachim Sauer. Zu keiner ihrer drei vorherigen Wahlen zur Kanzlerin war der öffentlichkeitsscheue Quantenchemiker in den Bundestag gekommen. Jetzt verfolgt er mit Merkels 89-jähriger Mutter Herlind Kasner das Geschehen von der ersten Reihe aus. Vielleicht, weil er weiß, dass er nicht noch einmal die Gelegenheit dazu bekommen wird. Während die Stimmen ausgezählt werden, klappt er seinen Laptop auf und schreibt.

Schäuble sagt, er werde das Ergebnis der Wahl nun Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mitteilen. Steinmeier ist nicht nur dafür zuständig, Merkel und ihre Minister zu ernennen: dieses Mal war er auch der Kanzlerinnenmacher. Er war es, der die SPD aus ihrer anfänglichen Gesprächsverweigerung über eine Fortsetzung der großen Koalition zurückgeholt hat.

Der Präsident wollte eine Neuwahl verhindern, weil er für Deutschland völlig ungewöhnliche instabile Zeiten befürchtet hatte. Dafür nahm er seine Sozialdemokraten in die Pflicht. Bei der Vereidigung der Minister zur Mittagszeit im großen Saal in Schloss Bellevue geht Steinmeier noch einmal darauf ein, dass eine erneute große Koalition keine Selbstverständlichkeit sei. "Um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, wird ein schlichter Neuaufguss des Alten nicht genügen", appelliert er an die Ministerriege. Während draußen vor dem Schloss im Nieselregen die Staatslimousinen wie Perlen an einer Kette nebeneinander stehen, lauschen die künftigen Minister drinnen mit konzentrierten Gesichtern den Worten des Staatsoberhaupts. Steinmeier hat das Thema Demokratie zum zentralen Anliegen seiner Amtszeit gemacht. Nun mahnt er vor der Deutschlandflagge stehend die Demokraten zur Wachsamkeit.

Es hat nicht viel gefehlt, dann wäre es den Jusos mit ihrer Anti-Groko-Kampagne gelungen, die Neuauflage des Bündnisses zu verhindern. Martin Schulz, der über den Aufstand der SPD-Jugend als Parteivorsitzender stürzte, sitzt jetzt im Bundestag in der dritten Reihe. Er sieht immer noch erschöpft aus von dem wohl bislang dramatischsten Wahlkampfjahr, das die Bundesrepublik erlebt hat.

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So wie Bayern München im Fußball am Ende der Saison immer wieder auf dem ersten Tabellenplatz steht, sitzt die Rekordkanzlerin wieder auf dem ersten Stuhl der Regierungsbank. Zu den ersten Gratulanten gehören die Grünen: die Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter sowie die Parteivorsitzende Annalena Baerbock. Sie hätten so gerne eine Regierung mit Merkel gebildet. Für Schwarz-Grün reichte es rechnerisch nicht, für ein Jamaika-Bündnis inklusive FDP inhaltlich und mental nicht.

Den größten Blumenstrauß überreicht CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Ausgerechnet Dobrindt. Sowohl in den Jamaika-Verhandlungen als auch in den Groko-Gesprächen war er durch permanentes Störfeuer aufgefallen. Immer wieder erweckte er vor und hinter den Kulissen den Eindruck, als wolle er weder Teil eines Jamaika-Bündnisses noch einer großen Koalition werden.

Die neuen Minister versprühen aber Lust aufs Regieren. Die angehende Justizministerin Katarina Barley (SPD) umarmt Schulz zur Begrüßung im Bundestag; kürzlich hat sie ihn noch scharf kritisiert. Schulz bleibt auf seinem Platz sitzen. Hubertus Heil (SPD), der neue Arbeits- und Sozialminister, plauscht entspannt mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der Hermann Gröhe (CDU) von dem Posten verdrängt hat. Der 37-jährige Spahn gehört zu Merkels schärfsten Kritikern. Hätte sie ihn übergangen, wäre der parteiinterne Widerstand gegen sie schon jetzt größer. Die neue Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) lässt ein Foto mit dem Handy von sich im Plenum machen.

Die AfD macht kurz von sich reden, weil ihr Abgeordneter Petr Bystron "schwerwiegend gegen die Würde des Bundestags" verstößt. Er macht seine Stimmabgabe in der Wahlkabine mit einem Foto öffentlich. Schäuble brummt ihm dafür eine Strafe von 1000 Euro auf.

In seiner neuen Rolle wirkt Schäuble noch ein wenig nervös. Als Merkel ihren Amtseid ablegt und die religiöse Formel "So wahr mir Gott helfe" hinzufügt, wünscht Schäuble ihr alles Gute auf ihrem "schweren Weg". Mag das auch richtig sein, dass es diese Wahlperiode schwer für die Kanzlerin wird, ist es doch eine bemerkenswerte Formulierung für einen Bundestagspräsidenten in einem solchen feierlichen Moment. So wie Merkel gestrickt ist, wird sie die Lasten dieses denkwürdigen Tages aber bald abschütteln - Hauptsache, gewählt.

(kd, qua)
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