Merkel und die Flüchtlingsfrage Abschied von der deutschen Gründlichkeit

Berlin · Traditionell stellt sich die Kanzlerin im Sommer den Fragen der Journalisten in Berlin vor der blauen Wand in der Bundespressekonferenz. Zentrales Thema diesmal: die Flüchtlingsfrage. Bundeskanzlerin Angela Merkel will für die Versorgung der Flüchtlinge bürokratische Hürden beseitigen.

 Angela Merkel in der Bundespressekonferenz.

Angela Merkel in der Bundespressekonferenz.

Foto: ap

Häufig ist die Stimmung bei der traditionellen Pressekonferenz launig, Kanzlerin und Journalisten zeigen rhetorisches Ping-Pong. In diesem Jahr sieht die Lage anders aus: Es gibt nur ernste Themen, ernste Fragen und eine konzentrierte Kanzlerin. Anbei die zentralen Herausforderungen — von der Flüchtlingskrise über Griechenland bis hin zur Ukraine-Frage, dazu Merkels Antworten und eine Bewertung, ob sich die Probleme mit Merkels Rezepten lösen lassen.

Was unternimmt die Regierung, um die zunehmende Zahl an Flüchtlingen angemessen zu versorgen?

Vorhaben Merkel will bis zum 24. September ein umfassendes Maßnahmenpaket vorlegen. Es sollen mehr Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen geschaffen und die Asylverfahren beschleunigt werden. Für den Bau von Asylunterkünften sollen Brandschutz- und Emissionsschutzregeln gelockert werden. Deutschlehrer für die Flüchtlinge sollen in Schnellverfahren ausgebildet werden. Merkel will dafür von der "deutschen Gründlichkeit" abweichen.

Bewertung Die geplanten Schritte sind notwendig. Es ist aber zu befürchten, dass die Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen nicht ausreichen. Wahrscheinlich werden wir bei der Versorgung durch den nächsten Winter improvisieren.

Angela Merkel besucht Flüchtlingsheim in Heidenau
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Merkel besucht Flüchtlingsheim in Heidenau

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Wer soll das bezahlen?

Vorhaben In dieser Frage hielt sich die Kanzlerin bedeckt. Mehrfach betonte sie die finanzielle Verantwortung des Bundes. Bei der konkreten Frage, ob es im kommenden Jahr einen ausgeglichenen Haushalt geben könne, wich sie aus. Vor drei Monaten noch hätte sie klar Ja gesagt.

Duisburg-Marxloh: Angela Merkel beim Bürgerdialog
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Angela Merkel besucht Duisburg-Marxloh

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Foto: dpa, rwe mg

Bewertung: Während die Bundesregierung den Bürgern bei der Zahl der zu erwartenden Flüchtlinge inzwischen reinen Wein einschenkt, hält man sich in der Kostenfrage noch zurück. Wenn der Bund die Kommunen nicht ausbluten lassen will, wird er in den kommenden Jahren mit Zuschüssen in Höhe von sechs bis zehn Milliarden Euro pro Jahr einspringen müssen.

Wie geht man mit offener rechtsradikaler Hetze und Gewalt um?

Vorhaben Die Kanzlerin kündigte an, gegen rechte Hetzer mit der "Härte des Gesetzes" vorzugehen. Sie distanzierte sich in unmissverständlicher Klarheit von Ausländerfeindlichkeit.

Bewertung Die Kanzlerin ist nicht die Erste aus der großen Koalition, die gegenüber Rechtsradikalen die "Härte des Gesetzes" ankündigt. Dem müssen aber mehr Taten folgen. Asylbewerberheime müssen konsequent gegen Übergriffe geschützt werden. Wo Rechtsradikale Demos ankündigen, dürfen sich nicht noch einmal Szenen wie in Heidenau abspielen.

Was muss auf europäischer Ebene geschehen?

Vorhaben In dieser Frage fordert Merkel: "Europa als Ganzes muss sich bewegen. Die Staaten müssen die Verantwortung für asylbegehrende Flüchtlinge teilen."

Bewertung Die Kanzlerin bekennt sich zwar zur deutschen Verantwortung in der Flüchtlingskrise. Wie sie aber ihre europäischen Partner dazu bewegen will, auch nur einen Teil dieser Verantwortungshaltung zu übernehmen, weiß sie selbst nicht. Da sagt sie nur lapidar: "Wir müssen halt reden."

Wie kommen die Griechen aus der Krise?

Vorhaben Die deutsche Regierung wird ihre strenge Haltung gegenüber Griechenland beibehalten. Merkel machte gestern deutlich, dass es bei den Zinsen gegenüber Griechenland "keinen Spielraum" gebe. Sie gab sich "relativ optimistisch", dass man eine Regelung hinbekomme, die sowohl die Anforderungen des Internationalen Währungsfonds widerspiegele wie auch "die Lösbarkeit des Problems".

Bewertung Anders als in der Flüchtlinsfrage gibt sich Merkel bei Griechenland gewohnt schwurbelig. Die Frage, ob der IWF tatsächlich im Oktober bei der Griechenland-Rettung einsteigt, ist für die große Koalition eine Nagelprobe.

Kann die erneute Spirale der Gewalt in der Ukraine gestoppt werden?

Vorhaben Die Ukraine-Krise war über Monate Merkels wichtigste politische Baustelle. Die vergisst sie trotz Griechenland und Flüchtlingskrise nicht. Ein neues Treffen im sogenannten Normandie-Format, zu dem die Kanzlerin sowie die Präsidenten der Ukraine, Russlands und Frankreichs gehören, könne "durchaus passieren" sagte Merkel.

Bewertung Der Waffenstillstand in der Ukraine war von Anfang an brüchig. Das Minsker Friedensabkommen ist dennoch ein großer Erfolg.

(qua)
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