Deutsch-türkische Beziehungen Merkel und Yildirim versuchen einen Neuanfang

Berlin · Beim Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim bei der Bundeskanzlerin interessiert erst einmal nur eins: Kommt Deniz Yücel frei? Einen "schmutzigen Deal" schließt Merkel aus.

 Angela Merkel und Binali Yildirim.

Angela Merkel und Binali Yildirim.

Foto: ap, FO

Binali Yildirim ist nach Deutschland gekommen, um eine "neue Seite aufzuschlagen". Fragt sich, ob dafür überhaupt das nötige Buch geschrieben ist. Denn so schlecht wie jetzt waren die deutsch-türkischen Beziehungen lange nicht mehr. Ganze Kapitel sind geschlossen - von den EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara, der Ausweitung der Zollunion mit der EU bis zur Visafreiheit für türkische Bürger und deutscher Aufrüstungshilfe für den Nato-Partner Türkei. Und solange der deutsch-türkische Korrespondent der Tageszeitung "Die Welt", Deniz Yücel, wegen Terrorverdachts weiter ohne Anklage im Gefängnis sitzt, dürfte sich der deutsch-türkische Scherbenhaufen auch nicht kitten lassen.

Bei einem Treffen am Donnerstag im Kanzleramt machte Bundeskanzlerin Angela Merkel dem türkischen Ministerpräsidenten deutlich, dass die Freilassung Yücels - beziehungsweise überhaupt erst einmal eine Anklage - Grundvoraussetzung für die Normalisierung des angespannten Verhältnisses ist. Merkel garantierte, dass es nicht zu einem "schmutzigen Deal" für die Freilassung Yücels kommen werde, für den der Häftling nach eigenen Worten keinesfalls zur Verfügung stehen will. Es gebe keine Verknüpfung zwischen dem Drängen zu einer Klärung im Fall Yücel und Rüstungslieferungen, die ohnehin so lange ausgesetzt seien, wie Deutschland keine neue Regierung habe, betonte Merkel. Ankara möchte zum Beispiel deutsche Leopard-2-Panzer nachrüsten. Es sind solche Panzer, die die türkische Armee derzeit gegen die Kurden in Nordsyrien einsetzt.

Merkel sagte, die Beziehungen seien "noch in schwerem Fahrwasser". Gleichwohl schätze sie sehr, dass Yildirim zu einer offenen Aussprache bereit sei. Nur so könnten sie herausfinden, ob man einen gemeinsamen Weg finden könne. Zu den "osmanischen Ohrfeigen", die der Nato-Partner Türkei dem Nato-Partner USA in Nordsyrien im Konflikt mit der von Washington unterstützten und von der Türkei bekämpften Kurdenmiliz YPG angedroht hat, wollte Merkel sich nicht äußern. Ohrfeigen gehörten nicht zu ihrem Sprachgebrauch. Sie sagte aber, dass sie wegen der Entwicklung in Syrien in großer Sorge sei.

Yildirim ließ zwar wieder durchblicken, dass die Türkei Deutschland unterstellt, nicht gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und gegen die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen vorzugehen, die Ankara für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht. Und er erwähnte auch auffallend oft den Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei - mit dem Ankara vor allem Druck von Merkel in der Flüchtlingskrise genommen hat und weiter nimmt. Er ließ aber aufhorchen, als er auf die Frage, was die Türkei denn dazu beitragen könne, damit "eine neue Seite" aufgeschlagen werde, mit Blick auf den Fall Yücel sagte: "Wir müssen die Prozesse beschleunigen." Das nährte doch wieder Hoffnungen auf eine baldige Freilassung. Und Yildirim wie Merkel bemühten sich, die in Deutschland lebenden drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln als Brücke zwischen beiden Ländern hervorzuheben.

Ein interessanter Aspekt dabei ist aber, dass die Zahl der Asylbewerber aus der Türkei in den vergangenen zwei Jahren sprunghaft gestiegen ist. Während sie in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils deutlich unter 2000 lag, kletterte sie 2016 - dem Jahr des Putschversuchs in der Türkei - auf 5742. Im vergangenen Jahr verzeichnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen weiteren Schub mit insgesamt 8483 von türkischen Bürgern gestellten Asylanträgen. Davon waren 8027 Erstanträge. Dies geht aus Daten des Bundesamtes hervor, die unserer Redaktion vorliegen.

Die Zahl der Schutzsuchenden wird voraussichtlich im laufenden Jahr auf hohem Niveau bleiben. Mit 741 neu registrierten Asylsuchenden lag die Türkei im Januar in der Top Ten der Staatsangehörigkeiten von Asylbewerbern auf Platz vier, noch vor dem Iran und Afghanistan. Nur aus Syrien, dem Irak und Nigeria kamen mehr Menschen, die in Deutschland Asyl begehren.

Überschattet wurde der Besuch Yildirims durch eine beleidigende Bemerkung des AfD-Politikers André Poggenburg über in Deutschland lebende Türken. Poggenburg hatte am politischen Aschermittwoch die türkische Gemeinde als "Kameltreiber" und "Kümmelhändler" bezeichnet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der in Halle in Sachsen-Anhalt auf die Äußerungen Poggenburgs angesprochen worden war, erklärte, es gebe Politiker, die eine "Maßlosigkeit in ihrer Sprache, Rücksichtslosigkeit und Hass in ihrer Haltung zu einer eigenen Strategie machen". Steinmeier betonte, er hoffe, dass sich die Bürger nicht vor diesen Karren spannen lassen. Poggenburg selbst sagte der "FAZ", seine Äußerungen seien "Satire" gewesen. Das zeige sich schon daran, dass es in der Türkei gar keine Kamele gebe.

(kd, qua)
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