Zuwanderungsdebatte Flüchtlingskind Reem lobt Angela Merkel

Berlin · Das 14-jährige palästinensische Mädchen ist froh, "dass die Bundeskanzlerin so ehrlich zu mir war". Jetzt kann sie hoffen, doch noch in Deutschland bleiben zu können. Ihr Fall löst in der Koalition trotzdem eine Zuwanderungsdebatte aus.

Angela Merkel: Reem lobt die Kanzlerin
Foto: dpa, kno

Reem Sahwil ist in Deutschland längst angekommen. "Gestern haben wir Zeugnisse bekommen: Ich bin die Einzige in meiner Klasse mit einer Eins in Deutsch", berichtet sie stolz der Reporterin der "Bild am Sonntag", die sie in Rostock besucht hat. Die 14-Jährige ist zu einer Berühmtheit geworden. Die Medien stürzen sich auf sie, seit die Kanzlerin letzte Woche versuchte, das weinende palästinensische Mädchen beim "Bürgerdialog" in Rostock mit einer seltenen Streicheleinheit zu trösten. Reems Tränen gingen um die Welt - und sorgen nun in Deutschland für eine neue Runde in der Zuwanderungsdebatte.

Bei der am Mittwoch im Fernsehen ausgestrahlten Veranstaltung mit Angela Merkel hatte Reem von ihrer drohenden Abschiebung berichtet. Die CDU-Vorsitzende reagierte zunächst professionell, für viele wirkte das gefühlskalt. Stockend erklärte Merkel dem Mädchen, warum nicht alle Flüchtlinge in Deutschland bleiben könnten, dass es dafür Regeln gebe, die für alle gleichermaßen gelten müssten.

"Ich war natürlich enttäuscht. Angefangen zu weinen habe ich erst, als Frau Merkel gesagt hat, dass immer wieder Leute abgeschoben werden müssten", sagt die seit ihrer Geburt halbseitig gelähmte und mehrfach operierte Reem der Reporterin der "Bild am Sonntag". Doch dann hatten ihre Tränen Merkel zu der unbeholfenen Reaktion verführt, die viele wiederum als sympathischen Gefühlsausbruch der Kanzlerin wahrgenommen haben: "Och, Gott", sagte Merkel, ging hin zu Reem und streichelte sie. "Das hast du doch prima gemacht."

Der Fall Reem bleibt nicht ohne politische Folgen - ganz unabhängig davon, dass sich ihre Geschichte längst zum Guten wendet. Denn Reem und ihre Familie bleiben vom Abschiebebescheid nun wohl doch verschont. Für sie soll das neue Bleiberecht Anwendung finden, das erst am 11. Juli im Bundesrat verabschiedet worden war und in wenigen Tagen in Kraft tritt. Jugendliche Ausländer, die mindestens seit vier Jahren eine deutsche Schule besuchen und gut integriert sind, sollen demnach bleiben können. Die Eltern werden als Erziehungsberechtigte ebenfalls nicht abgeschoben.

Da viele andere junge Flüchtlinge diese Voraussetzungen nicht erfüllen, unternimmt die SPD einen neuen Anlauf für ein Einwanderungsgesetz. "Es läuft etwas grundfalsch in Deutschland, wenn wir einerseits mehr Nachwuchs brauchen und andererseits junge, gut integrierte Flüchtlinge von der Abschiebung bedroht sind", sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann der "Welt am Sonntag". Er wolle deshalb ein Einwanderungsgesetz.

Die Union findet diese Reaktion auf Merkels Kontakt mit der Realität dagegen völlig überzogen. "Den Fall Reem zum Anlass zu nehmen für eine neue Einwanderungsdebatte, halte ich für verfehlt", sagte Gunther Krichbaum (CDU), Chef des Europa-Ausschusses im Bundestag. "Wir haben schon eine Fülle von Zuwanderungsregeln. Jetzt noch ein Gesetz draufzusatteln, führt uns nicht weiter." Auch Innen-Staatssekretär Günter Krings (CDU) lehnte ein Einwanderungsgesetz ab. "Wir haben eines der modernsten Zuwanderungsrechte der Welt. Das hat uns vor kurzem noch die OECD bescheinigt", sagte Krings. "Wir müssen unsere Regeln im In- und Ausland aber sicher noch besser erklären."

Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat eine neue Diskussion ausgelöst. Ihr Vorstand Reimund Becker forderte, hoch qualifizierte Asylbewerber müssten noch einen zweiten Weg eröffnet bekommen, um im Land bleiben zu können. Auch sie sollten die so genannte "Blue Card" (Blaue Karte) für Hochqualifizierte aus Nicht-EU-Staaten beantragen können, um dem deutschen Arbeitsmarkt dauerhaft zur Verfügung zu stehen. Voraussetzungen für die "Blue Card" sind ein fester Arbeitsvertrag, eine abgeschlossenen Ausbildung und ein Mindestgehalt. In Deutschland liegt es derzeit bei 48 400 Euro. Bisher können hoch qualifizierte Asylbewerber diese Karte jedoch hier nicht erwerben. Wollten sie dies tun, müssten sie zurück in ihr Heimatland, um die Karte dort zu beantragen.

Während sich Teile der Union offen für diesen Vorschlag zeigten, lehnte Innen-Staatssekretär Krings ihn ab. "Der stärkste Status, den jemand in Deutschland bekommen kann, ist ein angenommener Asylantrag. Der Asylberechtigte kann damit problemlos überall arbeiten. Die Blue Card ist hier nicht besser", sagte der CDU-Politiker.

Begleitet wurde die Debatte durch neue Angriffe auf Asylbewerber und Unterkünfte. Ausgerechnet auf einem Dorffest im Landkreis Rostock wurden in der Nacht zum Sonntag erneut sieben Asylbewerber von Nazis attackiert.

Reem Sahwil wird die "Blue Card" auch als Erwachsene wohl nicht benötigen, denn sie wird voraussichtlich ohnehin hier bleiben und später arbeiten können. Für Merkels Verhalten zeigt sie im Nachhinein viel Verständnis: "Ich war froh, dass sie so ehrlich war. Es hätte mich noch mehr gekränkt, wenn sie nicht ehrlich gewesen wäre. Ich mag ehrliche Menschen wie Frau Merkel."

Hier sehen Sie das Video des Treffens:

Liebe Community, im Netz diskutieren viele Nutzer über ein Gespräch der Kanzlerin mit einer libanesischen Schülerin....

(mar)
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