Angela Merkels Zukunft Kippt die Kanzlerin?

Berlin · Die Stimmung in der Bevölkerung ist aufgewühlt, und auch in der Union wachsen die Zweifel an der Flüchtlingspolitik. Die Wahrnehmung von Angela Merkel wandelt sich von der Problemlöserin zum Problem. Unser Berliner Korrespondent Gregor Mayntz entwirft zwei Szenarien.

 Die Herzdame der Union — oder doch nicht? Angela Merkel.

Die Herzdame der Union — oder doch nicht? Angela Merkel.

Foto: Radowski

Wenn es überhaupt ein Mensch schaffen kann, eine Flüchtlingskrise mit Millionen Betroffenen in den Griff zu bekommen, dann Angela Merkel, die "mächtigste Frau der Welt", in Deutschland, dem "besten Land der Welt". Hinter diesen Auszeichnungen von US-Medien stehen der beispiellose nationale, europäische und globale Einfluss der Bundeskanzlerin und die Dynamik, Verlässlichkeit und Wirtschaftskraft der Bundesrepublik.

Die Stärke der Kanzlerin ist die Orchestrierung paralleler Prozesse - also genau das, was nun gefordert ist: Hunderttausende Flüchtlinge registrieren, unterbringen, integrieren, dann strikt unterscheiden zwischen Asylberechtigten und Flüchtlingen ohne Bleibechancen - das ist die nationale Agenda. Die europäische: Die Flüchtlinge müssen unter den Mitgliedsländern besser verteilt, die EU-Außengrenzen wirksam geschützt werden. Und ganz besonders wichtig die globale: Die Welt muss die Ursachen für die historisch einmalige Massenflucht in den Griff bekommen.

Die gute Nachricht: Auf fast allen Feldern bewegt sich was. Die Unterbringung spielt sich ein, die behördlichen Kapazitäten, die auf 30.000 bis 60.000 Flüchtlinge pro Jahr angelegt waren, wachsen von Monat zu Monat, die Weichen für einen massiven Aufwuchs der EU-Grenzpolizei sind gestellt, die Verhandlungen mit der Türkei über einen massiven Stopp des Flüchtlingsstroms kommen voran, Libyen beendet den Bürgerkrieg und der Wiener Prozess für einen Stopp des Syrienkrieges läuft ebenfalls.

Nur: das geht alles langsamer und mühseliger als erwartet. Immer noch kann viel schief gehen, weil der Flüchtlingsausweis gerade erst eingeführt wird und der bundesweite elektronische Abgleich erst in einigen Monaten überall funktionieren wird. Auch die Armutsflucht abschreckenden Effekte sind nur zum Teil bereits in Kraft, die anderen brauchen noch Wochen, um Kabinett und Bundestag zu durchlaufen - und müssen dann erst die Runde durch die Herkunftsländer machen.

Doch Merkel hat es in ihrer zehnjährigen Kanzlerschaft schon oft geschafft, Europas politische Führer hinter eine gemeinsame Strategie, einen für alle gangbaren Kompromiss zu versammeln. Dabei hat sie noch nicht alle Karten ausgespielt. Ein von den EU-Partnern hängengelassenes Deutschland wird sich schwertun, die anderen so massiv zu unterstützen wie bisher. Doch diese Drohung lässt eine kluge Strategin nicht in monatelangen Debatten weichspülen, die legt sie in fortgeschrittener Gipfelnacht als schmerzhafte Daumenschraube auf den Verhandlungstisch.

Zur Bewältigung der Flüchtlingskrise im großen Stil hat sie nun auch die Rückendeckung des US-Präsidenten. Die von ihr initiierte Syrien-Konferenz bringt Anfang Februar einen weiteren Mosaikstein.

Nicht zu übersehen ist auch das, was Merkel seltsam zurückhaltend begleitet: dass wesentliche Forderungen ihrer Gegner partiell längst erfüllt sind. Wenn die "Grenzschließungs"-Befürworter nach den Folgen für die Wirtschaft gefragt werden, ziehen sie sich zumeist auf "verstärkte Kontrollen" und "Zurückweisungen" zurück. Das aber geschieht seit September längst und kann jederzeit forciert werden, zumindest so lange die Kräfte der Polizei reichen. Wenn nicht, laufen die Merkel-Gegner ebenfalls vor diese Wand. Nicht an erster Stelle von Merkels "europäischer Lösung" stehen härtere Grenzregime in Österreich und in der Slowakei. Aber wenn das im Endeffekt den von Merkel verlangten "Rückstau" auslöst, spielt das letztlich der Kanzlerin in die Hände.

Die Flüchtlingszahlen vom Westbalkan sind innerhalb eines dreiviertel Jahres von mehreren Tausend auf einige Dutzend monatlich zurückgegangen. Wenn sich die Grenzübertritte an den deutschen Grenzen bei den derzeit 1000 bis 2000 Flüchtlingen einpendeln und dann zum Jahresende weiter zurückgehen, wird Merkel darauf verweisen können, dass der Zustrom durch ihre Politik signifikant gesunken ist und vor allem eine glaubhafte positive Perspektive vorweisen können, wonach diese Entwicklung auch in Zukunft anhalten kann. Dann kommen auch die besseren Umfragewerte zurück, und Merkel startet gestärkt ins Wahljahr 2017.

Ein CSU-Politiker sagte es Merkel in der Klausur von Wildbad Kreuth ins Gesicht: "Wenn es in absehbarer Zeit keine andere Flüchtlingspolitik gibt, dann gibt es in absehbarer Zeit eine andere Kanzlerin." Der Groll der Christsozialen ist so groß, dass die Kritik, die CSU-Chef Horst Seehofer seit September wieder und wieder erhebt, nun in konkrete Schritte münden könnte. Schon sprechen gut vernetzte CSU-Politiker davon, den Startschuss zum Sturz der Kanzlerin zu geben, indem die bayerische Landesregierung die Merkel-Regierung in der Flüchtlingsfrage beim Verfassungsgericht verklagt und die CSU ihre drei Bundesminister aus dem Kabinett zurückzieht.

Der Countdown dafür endet am Abend des 13. März. So wie Gerhard Schröder 2005 als Konsequenz aus der SPD-Niederlage in NRW noch in der Nacht der Landtagswahlen auf Neuwahlen im Bund setzte, wartet Seehofer darauf, wie die CDU in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt abschneidet. Wird sie gestutzt, aber kann trotzdem regieren, wird Seehofer zwar den Druck aufrechterhalten, gleichwohl der Kanzlerin weitere Monate Zeit geben. Intern ist von einem halben Jahr die Rede. Gibt es jedoch krachende Niederlagen, wird die CSU den Strudel für Merkel in Gang setzen.

Die Vorbereitungen sind überdeutlich zu erkennen. Indem Seehofer nicht die bisher von Sachsen-Anhalts CDU-Regierungschef Reiner Haseloff ausgerechnete Obergrenze von 400.000 Flüchtlingen pro Jahr übernahm, sondern sie bei 200.000 definierte, sorgte er für ein planvolles Scheitern rechtzeitig zu den Landtagswahlen. Bis Mitte Januar kamen etwas mehr als 50.000 Flüchtlinge. Das bedeutet, dass am Wahltag die Seehofer-Obergrenze gerissen sein dürfte. Damit hat sich Seehofer den Anlass fürs Einschreiten bereits zurechtgelegt.

Aber er wird aller Voraussicht nach nicht die Neuwahl-Option anstreben. Er müsste ja dann unterstellen können, dass die Union gestärkt daraus hervorginge. Hält jedoch der Abwärtstrend an, müssen mindestens hundert CDU-Abgeordnete mit dem Verlust ihres Mandates rechnen. Das werden die wenigsten mit ner planmäßig verlorenen Vertrauensabstimmung auch noch selbst auslösen wollen. Also geht es darum, einen Übergangskanzler zu installieren. Naturgemäß käme dafür der Angreifer selbst in Frage, zumal die Optionen in der Flüchtlingspolitik zwischen "Seehofer-Kurs" und "Merkel-Kurs" unterschieden werden.

Doch dem stehen zwei Hindernisse entgegen: Seehofers angeschlagene Gesundheit, vor allem aber SPD-Chef Sigmar Gabriel. Er ist weder an vorgezogenen Neuwahlen noch an einem Bundeskanzler Seehofer interessiert. Also wird er in einem Prozess der Deinstallation Merkels versucht sein, die jetzt schon gegebene Mehrheit für Rot-Rot-Grün im Bundestag hinter sich zu bringen. Auch in der SPD-Wählerschaft und in der der Linken wachsen die Flüchtlingsressentiments. Hatte es bislang geheißen, diese Machtoption sei mit dem Wechsel von Gregor Gysi zu Sahra Wagenknecht deutlich geschrumpft, ist das seit dem Kurswechsel Wagenknechts in der Flüchtlingsfrage neutralisiert. Gabriel könnte die Regierungsübernahme damit begründen, dass Deutschland in dieser kritischen Phase nicht wegen der Selbstzerfleischung der Union handlungsunfähig werden dürfe.

Diese Gefahr wird natürlich auch im Unionslager gesehen. Deswegen ist für eine Übergangskanzlerschaft in den meisten Kreisen, die mit einer Merkel-Ablösung spekulieren, eher der SPD-kompatiblere Wolfgang Schäuble vorgesehen. Der Finanzminister kurvt bereits seit Monaten auf dem schmalen Grat zwischen Loyalität und Abgrenzung zu Merkel. Auch er hat Einfluss in Europa und Anerkennung in der Welt.

Zudem verwies der 73-Jährige kürzlich darauf, dass Adenauer bei Amtsantritt 73 gewesen sei. Er würde also wollen, falls Merkel dem Druck nicht mehr standhielte. Dazu können drei Umstände führen: Die Flüchtlingszahlen steigen wieder rasant an, im März scheitert auch der EU-Flüchtlingsgipfel, und ein weiteres Ereignis wie "Köln" entfacht neue Stimmungsumschwünge. Dann nehmen auch in der CDU die Zweifel überhand und Merkel wird gedrängt, an Schäuble zu übergeben.

(RP)
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