Analyse Absurde Regeln am Arbeitsplatz

Berlin · Zwischen Arbeitgebern und Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat sich ein teils kurioser Zwist um Änderungen der Arbeitsstättenverordnung entwickelt. Nahles stellt die Kabinettsreife der Regeln jedoch nicht infrage.

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Foto: dpa, mkx lof

Die jüngste Kritik an der geplanten Arbeitsschutzverordnung der Bundesregierung kommt vom Verband der Startup-Unternehmen in Deutschland. Wie zuvor schon Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer fürchten nun auch die jungen Unternehmen ausufernde Bürokratie und steigende Kosten. Für Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) kommt der teils kuriose Ärger um das neue Regelwerk zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, muss sie doch schon Konflikte beim Mindestlohn ausfechten. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Streit über die Novellierung des Arbeitsschutzes im Überblick.

Worum geht es?

Die Bundesregierung plant, die Arbeitsschutzvorschriften zu ändern und neue Regeln für Heimarbeitsplätze oder die Verfügbarkeit von Tageslicht in Teeküchen einzuführen. Zudem soll die bisher geltende Bildschirmarbeitsverordnung in die Arbeitsstättenverordnung übernommen werden. Arbeitsministerin Nahles verspricht sich davon, dass Doppelungen im Regelwerk und damit Bürokratie abgebaut werden können.

Was ist bisher geschehen?

Seit 2012 wird über die Novellierung der Verordnung diskutiert, der Ausschuss für Arbeitsstätten war eingebunden - unter Beteiligung der Arbeitgeber. Die erste Verbändeanhörung fand im April 2013 statt. Seitdem war ein Referentenentwurf bekannt, der mehrmals überarbeitet wurde. Im November 2014 beschloss das Kabinett die Verordnung. Vor Weihnachten befasste sich auch der Bundesrat damit. Die Länderkammer stimmte der Verordnung in weiten Teilen zu, bestand aber auf Änderungen und Verschärfungen einzelner Vorschriften. Als Reaktion darauf gab die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeber (BDA) am 22. Januar eine Pressemitteilung heraus, in der BDA-Chef Ingo Kramer über "bürokratischen Irrsinn in Absurdistan" schimpfte. Dennoch wäre das Kabinett jetzt befugt, die Verordnung endgültig zu verabschieden. Was genau sehen die Änderungen vor? Ein wichtiger Teil der Vorschriftenänderung betrifft den Arbeitsplatz beim Arbeitnehmer zu Hause, wenn dieser teilweise oder dauerhaft von dort für das Unternehmen tätig ist. Diese Telearbeitsplätze sollen vom Arbeitgeber überprüft werden. Kategorien dafür sind etwa ein ausreichend großer Schreibtisch, damit vor der Tastatur genügend Platz für die Handballen bleibt, eine mindestens 500 Lux helle Lampe, ein Fenster und daran montierte Verdunkelungsmöglichkeiten, um blendendes Sonnenlicht vermeiden zu können. Auch ergonomische Büromöbel sollen Pflicht sein. Kurz: Die Anforderungen an den Heimarbeitsplatz sollen denen nicht nachstehen, die für Arbeitsplätze auf Betriebsgelände gelten.

Welche Änderungen betreffen Büros? Die Verordnung sieht zum Beispiel vor, dass künftig auch solche Räume mit Tageslicht versorgt werden sollen, in denen sich Arbeitnehmer nur kurzfristig aufhalten: Etwa Pausen- und Bereitschaftsräume oder Kantinen. Für Toiletten und Erste-Hilfe-Räume hat der Bundesrat die von Nahles vorgesehene Pflicht für eine "Sichtverbindung nach außen" aufgehoben. Verschärfungen hingegen hat die Länderkammer für die Einrichtung von Büroräumen verlangt. Demnach soll es "abschließbare Kleiderablagen" für jeden Arbeitnehmer geben. Daran hat sich sogar eine eigene Debatte entsponnen: Während Arbeitgeberpräsident Kramer darin ein weiteres Beispiel für "Absurdistan" sieht, scheint der Bundesrat gar nicht einen abschließbaren Kleiderschrank zu verlangen, sondern nur ein verschließbares Fach für Wertgegenstände, wenn die Kleiderablage ansonsten offen ist.

Wer streitet nun mit wem?

Vor allem haben sich Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer und Arbeitsministerin Andrea Nahles ein teils heftiges Wortgefecht geliefert. Kramer appellierte im Januar, die Regeln doch noch zu stoppen. "Wenn sie weiter glaubhaft von Bürokratieabbau sprechen will, muss sie den völlig unrealistischen und praxisfernen Plänen der Ministerialbürokratie entgegentreten", sagte Kramer, adressiert an die Regierung. Nahles war brüskiert und schrieb in einem Brief: "Ich sehe dies als einen Angriff auf meine Person und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Ministeriums, die mit großem Engagement und hoher Sachkenntnis tätig sind."

Was sagen Politiker der Koalition? Die Meinungen in den Koalitionsfraktionen sind gespalten. Kerstin Griese (SPD), Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales, sagte: "Die Aufregung ist unbegründet. Die neue Arbeitsstättenverordnung entbürokratisiert, weil sie zwei Verordnungen zusammenführt." Außerdem bestehe nun die einzige Verschärfung in dem abschließbaren Schrank für jeden Arbeitnehmer, die "von Sachsen (CDU) im Bundesrat eingebracht und dort beschlossen" wurde. Hingegen warnt Carsten Linnemann (CDU), Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union, vor einer Überforderung der Unternehmen. "Ich persönlich wäre nicht traurig, wenn die neuen Vorschläge zur Arbeitsstättenverordnung komplett von der Agenda genommen würden", sagte Linnemann. "Wenn wir den Mittelstand nicht überfordern wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass sich Beschäftigte und Unternehmer wieder auf ihre Arbeit konzentrieren können und nicht darauf, ob die Betriebstoilette nun ein, zwei oder gar kein Fenster hat", so der CDU-Wirtschaftspolitiker. Wie geht es jetzt weiter? Nach Informationen unserer Zeitung ist die für morgen vorgesehene Verabschiedung der Vorschrift im Kabinett verschoben worden. Einen neuen Termin gibt es dem Vernehmen nach nicht. Außerdem hat Nahles angekündigt, sich bald mit Kramer treffen zu wollen. Auch dafür gibt es noch keinen Termin, teilte das Ministerium mit. Ein Sprecher betonte allerdings, dass Nahles die neue Arbeitsstättenverordnung weiterhin für kabinettsreif hält.

(jd)
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