Analyse Die Nähe der Genossen zu Russland

Berlin · Die Sozialdemokraten pflegen traditionell ein gutes Verhältnis zu Moskau. Dafür sind sie schon früher oft zu Unrecht gescholten worden. Der massive Vorstoß des Außenministers gegen die Nato verblüfft dennoch.

 Wladimir Putin und Sigmar Gabriel bei einem Treffen im Oktober 2015.

Wladimir Putin und Sigmar Gabriel bei einem Treffen im Oktober 2015.

Foto: ap, IAS

Bei den Sozialdemokraten ist stets ein leises Stöhnen zu vernehmen, wenn es um Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Wahlkämpfer geht. Das kann der nicht, finden viele. Denn Steinmeier findet einfach nicht aus seiner Diplomaten-Rolle heraus – immer ausgleichend, seriös, wohltemperiert. Nun verließ der Meister im Wortewägen doch das diplomatische Parkett und warf der Nato "Säbelrasseln" und "Kriegsgeheul" gegenüber Russland vor. Die Nato-Führung ist, gelinde gesagt, irritiert. Der Koalitionspartner in Berlin schäumt.

Die klar pro-russische Haltung des Außenministers ist Teil einer neuen SPD-Strategie. Damit kommen die Sozialdemokraten auch einer pro-russischen Stimmung in der Bevölkerung entgegen, die sich insbesondere im Osten bemerkbar macht.

Mit wie viel Härte muss man Putin begegnen?

Überraschend oder neu ist diese Linie der SPD aber nicht. Die Sozialdemokraten pflegten auch in politisch mindestens ebenso schwierigen Zeiten gute Beziehungen zu Moskau. Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre erfand und betrieb Willy Brandt – erst als Außenminister, später als Kanzler – mit Egon Bahr an seiner Seite Entspannungspolitik mit dem Ostblock. Dafür mussten sich die Sozialdemokraten teils als Vaterlandsverräter beschimpfen lassen. Mittlerweile gelten die damals geschaffenen Ostverträge als ein Meilenstein auf dem Weg zur Wiedervereinigung.

Heute dreht sich der Streit um die Frage, mit wie viel Härte man dem russischen Präsidenten Wladimir Putin begegnen muss, um seinen Großmachtanspruch einzuhegen. Auf die Eroberung der Krim reagierte die Europäische Union in für Putin überraschender Einigkeit mit Wirtschaftssanktionen, die Russland mehr zusetzen als Europa.

Schon im vergangenen September unternahm SPD-Chef Sigmar Gabriel einen Vorstoß, die Sanktionen fallen zu lassen. "Wir sollten die wechselseitigen Sanktionen schnellstmöglich beenden", sagte Gabriel damals unter Verweis auf Putins Bedeutung für die Lösung der Syrien-Krise.

In der Tradition von Gerhard Schröder

Der Wirtschaftsminister steht mit seinem Eintreten für die neue Ostseepipeline und seiner kritischen Haltung zu den Sanktionen in der Tradition von Gerhard Schröder: Putin-freundlich und ökonomisch pragmatisch. Schröders freundschaftliche Beziehungen zu Putin sind legendär. Seine Einschätzung, dass Putin ein "lupenreiner Demokrat" sei, nahm Schröder nie zurück. Wenige Wochen nach seinem Ausscheiden aus dem Kanzleramt wurde öffentlich, dass er einen Posten für die Ostseepipeline in der Nord Stream AG annahm, die zu 51 Prozent der russischen Gazprom gehört. Das Projekt hatte er schon als Regierungschef positiv begleitet.

Die Reihe führender SPD-Politiker, die sich für ein besseres Verhältnis zu Russland einsetzen, ist beachtlich. Seit es die Sanktionen gegen Putin gibt, veranstaltet der Ministerpräsident aus Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, einmal im Jahr einen Russlandtag. Zur ersten dieser Veranstaltungen 2014 kam Alt-Kanzler Gerhard Schröder und warb für Verständnis zwischen Europa und Russland.

Auch der frühere brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck kommt zu den Treffen. Platzeck ist auch Mitglied des Vorstands im Petersburger Dialogs – eines Diskussionsforums, das die deutsche und die russische Zivilgesellschaft einander näherbringen soll. Er war auch als Vorsitzender des Petersburger Dialogs im Gespräch. Wegen seiner mangelnden kritischen Haltung gegenüber Putin, der in seinem eigenen Land Oppositionelle und kritische Medien unterdrückt, galt er aber nicht mehr als für den Posten geeignet. Seit März 2014 ist Platzeck Vorsitzender des deutsch-russischen Forums.

Nato setzte auf abschreckende Manöver

Die Russlandtage in Mecklenburg-Vorpommern sind insbesondere eine Plattform für die Unternehmen dort, die über die Ostsee traditionell geschäftlich mit Russland verbunden sind. Zum letzten Treffen dieser Art im Mai kamen auch Gabriel und sein russischer Amtskollege, Industrieminister Denis Manturow. In dieser Runde wünscht man die Aufhebung der Sanktionen. Doch die EU hat eine Lockerung mit der Umsetzung des zweiten Minsker Abkommens verknüpft, das einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine vorsieht. Dieser Waffenstillstand ist äußerst brüchig.

Während die EU als Reaktion auf Putins Eroberungspolitik Sanktionen beschloss, setzte die Nato auf abschreckende Manöver an der Grenze zu Russland. Insbesondere Polen und die baltischen Staaten, die sich vor Übergriffen Russlands fürchten, drangen darauf. Die daraus folgenden Militäraktionen zog Außenminister Steinmeier nun in Zweifel.

"Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt", kritisierte der SPD-Politiker am Wochenende. Die Entscheidung zum Einsatz hatte Steinmeier 2014 in Wales selbst mitgetragen. Inzwischen versicherte er auch, dass er sie nicht infrage stellen wolle. Ihm sei es darum gegangen, die Bedeutung des Dialogs mit Russland hervorzuheben, relativierte er seine eigenen Äußerungen.

Stoltenberg: "Der Kalte Krieg ist Geschichte"

Die Nato wies jede Kritik an Manövern im Osten zurück: "Wir suchen intensiv nach Wegen, eine Eskalation zu verhindern. Gleichzeitig müssen wir auf ein Russland reagieren, das seine Militärausgaben seit 2000 verdreifacht hat, das sich viel aggressiver verhält und mit militärischer Gewalt Grenzen in Europa verändert hat", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg der "Süddeutschen Zeitung". Stoltenberg verwies auch darauf, dass niemand einen Rückfall in alte Zeiten wünsche: "Der Kalte Krieg ist Geschichte. Wir wollen, dass das so bleibt. Was wir tun, ist maßvoll, verantwortungsbewusst und transparent", betonte er.

Die Zahlen geben dem Nato-Generalsekretär recht: So zogen von April 2013 bis November 2015 rund 70.000 Nato-Soldaten in Manöver. bei den Russen waren es 812.000, also mehr als das Elffache.

(qua)
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