Analyse zum Haushalt 2016 Unverdienter Überschuss

Düsseldorf · Sowohl der Bund als auch NRW schließen das Haushaltsjahr überraschend gut ab. Das Plus ist weniger Folge eisernen Sparwillens als günstiger Umstände. Mit dem zusätzlichen Geld wollen die Minister politische Zeichen setzen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) gehen mit Rückenwind ins Wahljahr 2017: Sowohl der Bund als auch NRW haben das Haushaltsjahr 2016 mit unerwarteten Überschüssen abgeschlossen. NRW hatte unter dem Strich ein Plus von 217 Millionen Euro - statt geplanter neuer Schulden in Höhe von 1,8 Milliarden Euro. Im Bund blieb statt der geplanten Null ein Überschuss von 6,2 Milliarden Euro übrig.

  • Woher kommt der Geldsegen? Die Verbraucher haben Deutschland mit ihrer Konsumfreude das stärkste Wirtschaftswachstum seit fünf Jahren beschert. Unter dem Strich legte die Volkswirtschaft 2016 um 1,9 Prozent zu. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, Löhne und Gehälter sind gestiegen - und damit die Einnahmen. In NRW lagen sie mit knapp 54 Milliarden Euro eine Milliarde über Plan. Darunter waren gut 800 Millionen Euro für Flüchtlinge, die der Bund dem Land zugewiesen hat. Der Bund vereinnahmte 289 Milliarden Euro, das waren 0,9 Milliarden Euro mehr als gedacht. Der Bundesüberschuss ergab sich vor allem aus nicht abgerufenen Investitionsmitteln für Länder und Kommunen.
  • Was passiert mit den Überschüssen? Bund und Land wollen ihre jeweiligen Überschüsse komplett in die Schuldentilgung stecken. Dabei sind die Begehrlichkeiten groß: Die Wünsche an die beiden Finanzminister reichen von Investitionen über höhere Sozialausgaben, schnellere Steuersenkungen bis zu mehr staatlichen Dienstleistungen.
  • Warum gibt es keine weiteren Wahlgeschenke? Schäuble will mit der Schuldentilgung vor allem international ein Signal setzen: Deutschland zeigt der Welt, dass ein Land nicht nur keine neuen Schulden machen muss, sondern es bei guter Wirtschaftslage gleichzeitig gelingt, die öffentliche Verschuldung abzubauen. Außerdem liegt der deutsche Schuldenstand noch immer über der vom Maastricht-Vertrag vorgegebenen Marke von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In NRW will Walter-Borjans die Gelegenheit nutzen, sich im Wahljahr als solider Haushälter zu profilieren. NRW kam immerhin zuletzt 1973 ohne neue Kredite aus.
  • Ist der Sparkurs unumstritten? Nein. Anstatt die Überschüsse komplett in die Tilgung zu stecken, wäre im Superwahljahr 2017 in Düsseldorf und in Berlin auch eine Rücklage für die spätere Finanzierung von Wahlgeschenken denkbar gewesen - damit hätten die Abgeordneten der Regierungslager dann in ihren Wahlkreisen punkten können. "Jetzt ist die Zeit für Investitionen. Die Bürger haben die Überschüsse erwirtschaftet, nun sollten wir das Geld in ihrem Interesse investieren: etwa in den Ausbau der digitalen Infrastruktur und die Modernisierung unserer Schulen", forderte etwa SPD-Bundestagsfraktionsvize Hubertus Heil. "Drei Milliarden Euro sollten in den Ausbau von Ganztagsschulen gehen", sagte er. Finanz-Staatssekretär Jens Spahn (CDU) hält dagegen: "Zusätzliches Geld für Investitionen bringt im Moment gar nichts. Gelder für Kitas und Schulen wurden letztes Jahr kaum abgerufen, Geld für Straßen und Breitband ist mehr da, als derzeit verbaut werden kann." Ähnlich zerstritten ist der Landtag.
  • Kann NRW auch eigenständige Sparerfolge vorweisen? Dieser Frage weicht der NRW-Finanzminister aus. Er sagt, er spare bereits genug. Im Ländervergleich habe Nordrhein-Westfalen die zweitniedrigsten Pro-Kopf-Ausgaben: "Die Zitrone ist da ziemlich ausgequetscht", sagt Walter-Borjans. Umgekehrt werfen ihm Kritiker vor, NRW habe auch überdurchschnittlich viele Lasten auf die Kommunen abgeschoben und saniere sich auf deren Kosten.
  • Zieht NRW die Kommunen bei den Finanzen über den Tisch? Das ist Interpretationssache. Jedem Sachverhalt, der diesen Vorwurf belegt, stehen Gegenargumente gegenüber. Ein Beispiel: Die Opposition im Landtag wirft Walter-Borjans vor, die Flüchtlings-Integrationspauschale des Bundes in Höhe von 434 Millionen Euro nicht an die Kommunen weitergeleitet zu haben. Das stimmt. Was aber auch stimmt: Auf anderen Wegen hat NRW unter dem Strich 140 Prozent der Gelder, die es vom Bund für die Flüchtlingsversorgung zur Verfügung gestellt bekommen hat, an die Kommunen weitergeleitet.
  • Wie reagieren die NRW-Kommunen auf die neuen Zahlen? Sie nutzen die Gelegenheit, um ihre Forderung nach mehr Geld vom Land mit neuer Vehemenz zu vertreten. Der Landrat des Kreises Mettmann, Thomas Hendele (CDU), sagt, die Finanzausstattung der Städte, Kreise und Gemeinden in NRW sei "absolut unzureichend". Die in den 80er Jahren erfolgte Senkung des Verbundsatzes, mit dem die Kommunen an den Gemeinschaftssteuern des Landes beteiligt werden, habe überhaupt erst zu der strukturellen Finanzkrise der Kommunen geführt. Sie hätten seitdem insgesamt 60 Milliarden Euro Zuweisungen verloren. Hendele: "Das entspricht in etwa der Gesamtverschuldung aller Kommunen in NRW". Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen spricht immerhin von "Hinweisen auf eine Unterfinanzierung in einzelnen Aufgabenbereichen", so etwa bei der schulischen Inklusion oder "zumindest bis vor Kurzem bei der Erstattung von Flüchtlingskosten".
  • Wie ist der Ausblick? So gut wird die Lage in den kommenden Jahren nicht mehr sein. Dann schlägt die Demografie zu, und die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente. Auch die Konjunktur kann umschlagen. Walter-Borjans kann noch nicht sagen, welche Auswirkungen der überraschende Abschluss von 2016 für die Planung 2017 hat. Zuletzt rechnete er für das laufende Jahr mit 1,6 Milliarden Euro neuen Schulden. Die Prüfung einer möglichen Korrektur beanspruche einige Wochen. Wie auch immer: Die Schuldenbremse sieht ab 2020 für NRW einen dauerhaft ausgeglichenen Haushalt vor.
(jd / hüw / mar / tor)
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