Wahlverhalten Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen

Düsseldorf · Im Wahlverhalten unterscheiden sich die Geschlechter - immer schon. Wissenschaftler begründen das mit sozialen Strukturen, Erwerbstätigkeitsquoten und gesellschaftlichen Prozessen. Aber es bleibt ein unaufgeklärter Rest.

 Der sprichwörtliche kleine Unterschied zwischen Mann und Frau kann an der Wahlurne einen großen Unterschied machen.

Der sprichwörtliche kleine Unterschied zwischen Mann und Frau kann an der Wahlurne einen großen Unterschied machen.

Foto: dpa, skm htf

Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen. Diese Behauptung ist unter Deutschen seit Loriot ein geflügeltes Wort. Sie ist in erster Linie höherer Unsinn - aber eben nicht nur. Wer einen Blick auf bundesrepublikanische Wahlergebnisse wirft, der bemerkt schnell, dass der sprichwörtliche kleine Unterschied an der Wahlurne bisweilen massiv ausfällt.

Beispiel 1: Bundestagswahl 2013. Die Union schrammte damals knapp an der absoluten Mehrheit der Sitze vorbei - weil FDP und AfD knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, hätten schon die 41,5 Prozent von CDU und CSU fast für 50 Prozent der Mandate gereicht. Hätten 2013 nur Frauen wählen dürfen oder wollen, hätte es allerdings die dritte große Koalition nie gegeben: In einem ausschließlich von Frauen gewählten Parlament hätte die Union die absolute Mehrheit geholt. Hätten dagegen nur Männer abgestimmt, säße die AfD schon längst im Bundestag.

Beispiel 2: Sachsen-Anhalt 2016. Die Männer allein hätten, wenn man sie gelassen hätte, das Land in die Unregierbarkeit gewählt. Bei ihnen wurde die AfD mit fast 30 Prozent deutlich stärkste Kraft, gut vier Punkte vor der CDU. Im virtuellen Männer-Landtag von Sachsen-Anhalt hätten die miteinander koalitionsunfähigen Parteien AfD und Linke eine komfortable Mehrheit. Auch weitere Bündnisse wären nur theoretisch möglich: CDU mit Linken oder CDU mit AfD - dann aber gemäß den Usancen unter einem AfD-Ministerpräsidenten. Unvorstellbar. Hätten allein Frauen das Ergebnis bestimmt, wäre dagegen Schwarz-Rot-Grün ebenso drin wie Schwarz-Rot-Gelb, denn dann säße auch die FDP im Landtag.

Grundsätzlich neigen Frauen eher zu SPD, Union und besonders Grün, während Männern FDP, Linke, Piraten und vor allem AfD lieber sind. Bei den letzten 16 Landtagswahlen und der Bundestagswahl 2013 haben etwa die Grünen bei Frauen im Schnitt 2,6 Prozentpunkte mehr erzielt als bei Männern, in Bremen 2015 und in Baden-Württemberg im März 2016 sogar fünf Punkte. Die AfD schnitt bei Männern dagegen um die Hälfte besser ab als bei Frauen: fast fünf Punkte mehr. Sachsen-Anhalt 2016 mit einem Plus von 10,5 Prozentpunkten bei Männern gegenüber Frauen markiert den bisherigen Rekord.

Nicht erst seit fünf Jahren

Das alles sind mehr als nur kleine Unterschiede. Frauen wählen anders, und nicht erst seit fünf Jahren. Die aktuellen Diskrepanzen an der Urne sind tatsächlich nur die Miniaturausgabe alter demoskopischer Gräben zwischen den Geschlechtern. Bei der Bundestagswahl 1969 zum Beispiel bekam die Union bei den Frauen zehn Prozentpunkte mehr als bei den Männern - Willy Brandt war, zumindest noch dieses Mal, bei den Frauen ohne Chance.

"In den 50er und 60er Jahren haben Frauen bei Bundestagswahlen noch deutlich stärker christlich-konservativ gewählt", sagt die Politikwissenschaftlerin Stefanie Haas von der Uni Freiburg. "Die Nivellierung beginnt erst 1972, und dieser Trend hält bis heute an." Grund seien soziale Strukturen: Frauen seien stärker kirchlich gebunden und seltener berufstätig gewesen. "Das ändert sich ab den 70er Jahren - Bildungsniveau und Erwerbstätigkeitsquote steigen. Das führt dazu, dass sich die Unterschiede verringern."

Die Differenzen schrumpfen, aber sie verschwinden nicht. Zwischen 2011 und 2016 fuhr die Union im Schnitt bei Frauen gut zwei Prozentpunkte mehr ein als bei Männern. Die SPD allerdings auch. Wie das? Das Geschlecht der Spitzenkandidaten sei statistisch nicht entscheidend, sagt Haas. Ihre Kollegin Evelyn Bytzek von der Uni Koblenz-Landau argumentiert auch hier mit Strukturen. Sie unterscheidet zwei "Geschlechterlücken", englisch "Gender Gap": "Vor 1970 gab es einen traditionellen Gender Gap - Frauen wählten eher konservativ als Männer. In den 70er Jahren glich sich das Wahlverhalten dann an und ging in den modernen Gender Gap über: Frauen wählen nun eher linksgerichtete Parteien als Männer."

Andere Schwerpunkte

Mögliche Gründe nennt Bytzek auch: Frauen arbeiteten mehr in gering bezahlten Jobs; Veränderungen wie die höhere Scheidungsrate könnten vor allem Frauen in soziale Probleme bringen; "und schließlich der generelle Einstellungswandel weg von materiellen hin zu postmateriellen Werten wie Selbstverwirklichung, die insbesondere Frauen ansprechen". Soziales und Familie seien eher Frauen wichtig, sagt auch Haas, "Männer dagegen werden eher von Wirtschafts- und Finanzthemen angesprochen. Frauen setzen offensichtlich andere Schwerpunkte."

Sozialpsychologie und Sozialstruktur mögen einen Gutteil der Unterschiede erklären. Bei rechten Parteien jedoch wird es schwierig. "Bei der AfD bemerken wir die starke Diskrepanz erst seit dem Rechtsruck unter Frauke Petry", sagt Haas: "Radikale Rhetorik scheint Frauen eher abzuschrecken. Deshalb gilt auch: je weiter rechts, desto männlicher." Haas vermutet das Gefühl sozialer Bedrohung etwa durch Zuwanderung als Grund für das Abdriften der Männer nach rechts, "während es Frauen dann Richtung Mitte-links zieht, zu den Parteien des Sozialstaats".

Ob das nun alles ist - dazu schweigt die Wissenschaft lieber. Ticken Frauen grundsätzlich anders als Männer, weil sie Frauen sind, unabhängig vom Sozialen? "Zu genetischen oder anthropologischen Unterschieden kann die empirische Wahlforschung wenig sagen", räumt Haas ein. Mit dem Problem wurde bereits Anfang des Jahres Michael Kunert konfrontiert, Geschäftsführer des Instituts Infratest Dimap, das die ARD beliefert. Er wisse nicht, sagte Kunert damals, "ob man bis in die Evolution zurückgehen muss", um zu erklären, "dass die Männer etwas risikofreudiger sind". Nicht nur Unterschiede an der Urne bleiben also - sondern auch ein unaufgeklärter, wissenschaftlich womöglich unaufklärbarer Rest.

Vielleicht hat Loriot ja doch recht.

(fvo)
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