Analyse 2017 wird Merkels schwierigste Wahl

Berlin · Im Schlafwagen wird die Kanzlerin diesmal nicht an der Macht bleiben. Sie muss in einem politisierten Umfeld mit eigenen Vorschlägen und Zuspitzungen punkten. Diese Rolle liegt aber Angela Merkel nicht besonders.

 Die Kanzlerin muss sich für den kommenden Wahlkampf eine neue Strategie zurecht legen.

Die Kanzlerin muss sich für den kommenden Wahlkampf eine neue Strategie zurecht legen.

Foto: afp, HAN/CVI

Ein gutes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl fahren die Parteizentralen weitgehend geräuschlos ihre Wahlkampfmaschinen hoch. Die Vor-arbeiten an den Wahlprogrammen haben begonnen. Längst sitzen die Strategen zusammen und beraten, wie man im kommenden Jahr den so unberechenbar gewordenen Wähler überzeugen kann.

Neues Konzept nötig

Die Union, die nach der Erwartung ihres Spitzenpersonals erneut mit Kanzlerin Angela Merkel ins Rennen ziehen wird, benötigt für den Wahlkampf dringend ein neues Rezept. Mit der kuriosen Strategie, mit der sie 2009 und 2013 den Urnengang gewann, wird sie 2017 nicht mehr punkten können. Damals setzte die CDU mit Merkel an der Spitze auf die sogenannte "asymmetrische Demobilisierung". Die Taktik hinter dem sperrigen Begriff: Man selbst bietet so wenig Angriffsfläche, dass der politische Gegner seine Anhänger nicht mobilisieren kann. Diese Strategie gipfelte während des TV-Duells mit dem damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück in Merkels Satz: "Sie kennen mich." Damit warb sie um das erneute Vertrauen der Wähler. Und es funktionierte.

Der Kanzlerin war es in den ersten acht Jahren ihrer Regierungszeit gelungen, eine Art Arzt-Patienten-Verhältnis mit dem Volk aufzubauen. Die Bürger vertrauten auf ihre Rezepte, auch dann, wenn sie die eine oder andere politische Kehrtwende nicht nachvollziehen konnten. Merkels Kritiker hat die Symbiose zwischen Kanzlerin und ihren Wählern schier wahnsinnig gemacht. Die Republik wirkte aus ihrer Sicht wie im Dornröschen-Schlaf. Wachrütteln half nicht.

Bedrohlicher Konflikt

Doch mit dem Ausbruch der Flüchtlingskrise ist es vorbei mit der politischen Beschaulichkeit in Deutschland. Über die Frage einer Obergrenze und die Sicherung der Grenzen (Deutschland oder Europa) hat sich die Gesellschaft gespalten. Und nicht nur die Wählerschaft: Auch die Schwesterparteien CDU und CSU stecken in einem existenziell bedrohlichen Konflikt.

Der Streit sitzt so tief, dass sich die Unionsparteien aktuell noch nicht einmal darauf einigen konnten, wo ihr für Juni geplantes Treffen stattfinden soll, bei dem sie ihre Konflikte für das kommende Wahlkampfjahr eindämmen und sich auf die groben Linien für ein gemeinsames Wahlprogramm einigen wollen.

Wenn es der Union nicht gelingen sollte, bald wieder eine gemeinsame Basis zu finden, dürften die Umfragewerte auch noch unter die 30-Prozent-Marke sinken. Die Einigung der Unionsschwestern ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Merkel im kommenden Jahr noch einmal Kanzlerin werden kann.

Schwierige Versöhnung

Doch die Einigung ist kompliziert: Während die gesamte Union bundesweit nur noch bei gut 30 Prozent liegt, verfügt die CSU in Bayern immer noch über Werte, die ihr eine absolute Mehrheit bescheren können. Die CSU führt die komfortable Lage auf ihre Haltung in der Flüchtlingspolitik zurück. Und so befremdlich es für die Menschen außerhalb Bayerns klingen mag: Für die CSU ist die absolute Mehrheit in Bayern viel wichtiger, als im Bund zu regieren. Das macht die Versöhnung zwischen CDU und CSU umso schwieriger.

In dem Konflikt ist auch nicht zu unterschätzen, dass sich CSU-Chef Horst Seehofer parteiintern auf Kosten der CDU stabilisiert hat. Mit seinem Dauerfeuer gegen Merkels Flüchtlingspolitik hat er mit dafür gesorgt, dass das Vertrauen in die Kanzlerin geschwunden ist. In seiner Anhängerschaft hat dieses Vorgehen die Reihen geschlossen. In dem Moment, in dem die CSU das Feuer auf die Schwesterpartei einstellt, könnte sie wiederum an Zustimmung verlieren.

Merkel benötigt neben einem Burgfrieden in der Union eine neue Strategie für den Wahlkampf 2017. Die Gesellschaft ist so politisiert, wie sie es wohl seit der 68er Revolution nicht mehr war. Menschen, die jahrelang nicht mehr gewählt haben, begeben sich plötzlich wieder zur Wahlurne.

Zudem hat Merkel erstmals rechts von sich mit der AfD einen ernstzunehmenden Gegner. Bislang geben die CDU-Strategen die Parole aus, man müsse eben die Probleme der Menschen lösen und erklären, was man tue. Das ist richtig, aber nur die halbe Miete. Die CDU muss auch wieder mehr wagen und zugespitzt formulieren, was sie will. Nach Jahren des politischen Understatements wird sie in die Offensive gehen müssen. Wenn Rechtspopulisten das Feld bespielen, reicht es nicht, auf die eigene Sacharbeit zu verweisen. Vielmehr wird sich auch die Union offen mit der AfD auseinandersetzen müssen. Dafür benötigt sie im Wahlkampf eine umfassende und kreative Strategie für die sozialen Medien, wo die Rechtspopulisten und die Verschwörungstheoretiker sich gerne gegenseitig in ihren Auffassungen bestätigen.

180-Grad-Wende

Überraschenderweise könnte auch die SPD hilfreich sein. Ihr Chef Sigmar Gabriel ist gerade dabei, seine Partei wieder nach links zu rücken, nachdem ihm auf den Spuren Ludwig Erhardts die Genossen nicht so recht folgen wollten. Sollte Gabriel tatsächlich Platz machen in der Mitte, ist das ein Wahlkampfgeschenk an die Union.

Nun wirft Gabriel auch noch der Kanzlerin vor, sie habe in ihrer Flüchtlingspolitik eine 180-Grad-Wende vollzogen. Richtig ist, dass Merkel viele - möglicherweise zu viele - Kompromisse eingegangen ist, um den Zuzug von Flüchtlingen an den europäischen Außengrenzen zu stoppen. An ihrer Ablehnung einer Obergrenze für Deutschland hält sie dennoch fest. Gabriels Vorwurf, sie habe eine Kehrtwende vollzogen, wird ihr wahrscheinlich nicht schaden.

Die CSU wird eine solche Kehrtwende mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Sie fühlt sich dann bestätigt. Gleiches gilt für jene Wähler, die die CDU an die AfD zu verlieren droht.

(qua)
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