Berlin Deutschland muss in Brüssel zum Rapport

Berlin · Nach der Maut drohen auch im Abgasskandal EU-Vertragsverletzungsverfahren. Bei den Steuern könnte es ebenfalls Verstöße geben.

Mit dem Status des Musterschülers Europas ist es für Deutschland vorbei. Immer mehr Vertragsverletzungsverfahren leitet die EU-Kommission wegen Verstößen gegen EU-Recht ein. Nach der Pkw-Maut droht die Regierung nun auch wegen des Abgasskandals auf die Anklagebank der Europarichter zu geraten. Nach Medienberichten stößt sich die Kommission vor allem daran, dass Deutschland entgegen klaren EU-Vorgaben keine Strafen für Verstöße gegen die Abgasnormen festgelegt hat.

Schon zuvor hatte Brüssel eine Diskriminierung von EU-Ausländern durch die neuen deutschen Maut-Gesetze beklagt, wonach nur Inländer einen Ausgleich bekommen. Im Frühjahr hatte die Bundesregierung auf Anfrage mitgeteilt, dass allein für den Geschäftsbereich von Verkehrsminister Alexander Dobrindt weitere elf EU-Verfahren anhängig seien.

"An den Vertragsverletzungsverfahren erkennen wir, dass Deutschland das Feld der seriösen und soliden Politik verlassen hat", sagte Renate Künast (Grüne), Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, unserer Redaktion. Die Maut sei von Beginn an "nur am Stammtisch" statt am gemeinsamen europäischen Recht orientiert gewesen. "Beim Abgasskandal ist die Bundesregierung Teil des Skandals, statt durch solide Aufklärung und Kontrolle die Basis für einen guten Ruf der Automobilherstellung zu legen", erklärte die Grünen-Politikerin.

In einer aktuellen Übersicht verweist die EU-Kommission allein im Steuerrecht auf fünf weitere Regeln in Deutschland, die nach Brüsseler Überzeugung nicht mit dem EU-Recht in Einklang stehen. So wird Deutschland aufgefordert, seine Mehrwertsteuervorschriften für Reisebüros zu ändern, die Erbschaftsteuerregeln über Versorgungsfreibeträge anzupassen und die Grenzen der Mehrwertsteuer-Befreiung für geteilte Dienstleistungen zu überarbeiten.

Kommt Deutschland den Anforderungen nicht nach, kann es vom Europäischen Gerichtshof verurteilt werden, für jeden verbleibenden Tag der Säumigkeit eine Geldbuße zu zahlen. Die richtet sich nach den Auswirkungen auf den Binnenmarkt und nach der Größe des beklagten Staates und liegt für Deutschland derzeit zwischen 13.000 und 810.000 Euro. Als sich Union und FDP nicht auf die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung verständigen konnten, verlangte die Kommission 2012 ein tägliches Zwangsgeld von über 300.000 Euro. Dazu kam es jedoch nicht, weil die EU-Richtlinie selbst aus dem Verkehr gezogen wurde.

Die meisten Verstöße landen nicht vor Gericht. So stellte die Kommission das Verfahren wegen "diskriminatorischer Besteuerung ausländischer Wohltätigkeitsorganisationen" in diesem Jahr ein. Berlin hatte das Gesetz angepasst.

(RP)
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