Berlin Deutschland macht Grenze dicht

Berlin · In einer Woche kamen 60 000 Flüchtlinge nach Deutschland - doppelt so viele, wie früher in einem ganzen Jahr. Nun hat Deutschland "bis auf Weiteres" die Grenze nach Österreich geschlossen. Tausende Bundespolizisten sind im Einsatz.

 An der Grenze zu Österreich hat die bayerische Polizei bei Lindau in Bayern eine Kontrollstelle eingerichtet, um den aus Österreich einreisenden Verkehr zu überwachen.

An der Grenze zu Österreich hat die bayerische Polizei bei Lindau in Bayern eine Kontrollstelle eingerichtet, um den aus Österreich einreisenden Verkehr zu überwachen.

Foto: dpa, puc cul

Die Flüchtlingskrise hat sich am Wochenende so zugespitzt, dass Deutschland vorläufig seine Grenzen nach Österreich geschlossen hat. Dieser Schritt werde nicht "alle Probleme lösen", sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) bei einer eilig angesetzten Pressekonferenz am Sonntagnachmittag in Berlin. "Aber wir brauchen einfach etwas mehr Zeit und Ordnung an unseren Grenzen", sagte der Innenminister.

Am Spätnachmittag unterbrach die Bahn zunächst den Zugverkehr zwischen Österreich und Deutschland bis sechs Uhr heute früh. Danach wurden die Grenzen "bis auf Weiteres" dicht gemacht. Reisende müssen jetzt wie in den 80er Jahren wieder ihren Personalausweis vorzeigen, wenn sie zwischen Österreich und Deutschland reisen wollen.

Regierungschefin Angela Merkel hatte mit Österreichs Kanzler Werner Faymann zuvor telefoniert und die Schließung der Grenze abgesprochen. Bis zum Abend hielten die Österreicher ihre Grenzen offen und wollten erst einmal abwarten, ob die deutsche Abriegelung einen "Rückstau" bringe.

Die Entscheidung für die Grenzschließung war gefallen, nachdem in der vergangenen Woche rund 60 000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren. Merkel wurde von den Ländern und insbesondere von der CSU für ihre Großzügigkeit bei der Einreise von Flüchtlingen kritisiert. Allein am Samstag kamen mehr als 12 000 Flüchtlinge über Österreich und Ungarn mit Zügen in München an. In der Nacht zu Sonntag konnten nicht mehr alle Neuankömmlinge in Notunterkünften untergebracht werden. Mehre Dutzend kampierten in der Halle des Münchner Bahnhofs. "Die Belastungsgrenze in Bayern ist erreicht, teilweise auch deutlich überschritten", sagte CSU-Landesgruppen-Chefin Gerda Hasselfeldt unserer Redaktion.

Auch andere Bundesländer testen derzeit die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit. Allein nach Nordrhein-Westfalen kamen seit Anfang des Jahres 87 000 neue Flüchtlinge. In Deutschland wurden bis Ende August 257 000 Asylanträge gestellt. Beim Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (BAMF) sind noch 277 000 Asylgesuche unbearbeitet.

Gestern herrschte angesichts des ungebremsten Zustroms auf allen Ebenen hektische Betriebsamkeit: In München traf sich das bayerische Kabinett zu einer Krisensitzung. Im Anschluss bezeichnete Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) die Grenzschließung als "wichtiges Signal an die ganze Welt und auch nach innen, in die Bundesrepublik Deutschland." Der bayerische Regierungschef forderte zugleich eine Verdoppelung der Hilfen des Bundes für Flüchtlinge von derzeit einer auf zwei Milliarden Euro. Während die Bayern tagten, versetzte das Innenministerium sämtliche Bundespolizisten in Alarmbereitschaft. Sie müssen nun die Grenzübergänge kontrollieren. Für den Abend war noch eine Sonderkonferenz der Unions-Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin geplant, wo sie die Schritte erläuterte.

Flüchtlingsandrang in München – Bilder vom Hauptbahnhof
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Flüchtlingsandrang in München

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Hilfe erhielten die überlasteten Bayern an diesem Wochenende insbesondere von Nordrhein-Westfalen und Hessen. In Düsseldorf kamen nach Angaben der Stadt am Samstagabend etwa 1000 Asylsuchende in zwei Sonderzügen an. Im Laufe des Sonntags wurden weitere Sonderzüge erwartet.

Heute treffen sich die Innen- und Justizminister der EU zu einer Sonderkonferenz in Brüssel. Die Deutschen werden erneut auf die von ihnen geforderte Quoten-Regelung und die Auffangzentren an den EU-Außengrenzen pochen. Die großen Lasten müssten innerhalb Europas solidarisch verteilt werden, forderte de Maizière. Er betonte, "auch die Asylsuchenden müssen akzeptieren, dass sie sich einen Mitgliedstaat der EU nicht einfach aussuchen können". EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte gestern mit Staats- und Regierungschefs aus mehreren mittel- und osteuropäischen Ländern telefoniert. Er erwartet deutlichen Widerstand gegen seinen Plan, 120 000 Flüchtlinge aus Griechenland, Italien und Ungarn auf die übrigen EU-Länder zu verteilen.

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz der Länder, der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD), bezeichnete die Grenzschließung als "absolute Notlösung" und appellierte an die europäische Solidarität. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) erklärte, die Grenzschließungen verschafften allen Beteiligten die dringend benötigte Atempause, um zu geordneten Verfahren zu kommen.

Unterdessen kamen bei einem Schiffsunglück in der Ägäis bis zu 38 Menschen zu Tode, als ein mit Flüchtlingen überladener Fischkutter kenterte.

(qua, kes)
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