Analyse Deutschland auf dem rechten Weg

Köln · Wachsen durch die Gewalttaten in der Kölner Silvesternacht - die auch von Flüchtlingen verübt wurden - rechtspopulistische Einstellungen? Fraglich erscheint zumindest unsere eingeübte Toleranz.

 Rechtspopulistische Parteien wie die AfD sind nach den Angriffen auf Frauen am Kölner Hauptbahnhof weiter im Aufwind.

Rechtspopulistische Parteien wie die AfD sind nach den Angriffen auf Frauen am Kölner Hauptbahnhof weiter im Aufwind.

Foto: afp, jd/dg

Typisch deutsch: In München wurde gestern die Neuauflage von Hitlers "Mein Kampf" in kritischer Edition vorgestellt. Typisch deutsch: Ein Dienstgruppenleiter der Kölner Polizei verschweigt die Herkunft der Gewalttäter aus der Silvesternacht - da dies "politisch heikel" sei. Typisch deutsch: In Münster feiert auf der Bühne des Wolfgang-Borchert-Theaters die Hitler-Satire "Er ist wieder da" eine bejubelte Uraufführung. Typisch deutsch, das alles?

Ein paar Impressionen aus Deutschland zu Beginn des neuen Jahres, die wie jede Zusammenschau auch konstruiert ist. Die aber ohne die Ereignisse von Köln - also ohne die auch von Flüchtlingen begangenen sexuellen Straftaten - grundlos wäre.

Mit Köln ist plötzlich vieles schwieriger geworden. Vor allem unsere eingeübte Toleranz gegenüber jenen, die Schutz bei uns suchen. Vor Köln war manches einfacher: Pegida war nur doof und mit ihren paar Irrläufern im Westen beruhigend lächerlich; die AfD erschien zumindest gefährlich. Das durfte man äußern. Dass die Welt nicht Schwarz und Weiß ist, weiß zwar jeder, doch zur eigenen Standortbestimmung ist ein solch grobes Schema durchaus dienlich.

Köln hat dieses Schema erschüttert. Mit Köln wird die gute Haltung diffamiert. Seit Köln gibt es kaum noch Aktivisten, nur noch Verstummte, Hadernde, Gelähmte. Die einfachste Frage im Getümmel der Meinungen ist immer noch die, ob die Gewalttaten von Köln unser Land - ach was: ob sie uns alle jetzt rechter werden lassen. Die Antwort darauf lautet: Nein. Köln hat etwas anderes bewirkt - es hat Haltungen aufgebrochen und rechte bis rechtsextreme Meinungen artikulierbar werden lassen. Die existierten längst. Doch blieben sie hinter der Fassade einer humanen, humanitären deutschen Gesellschaft weitgehend verborgen. Dieses Selbstbild von uns war ein Wunschbild, das mit der Realität wenig zu tun hatte. Auch in diesem Sinne ist die Gewalt von Köln und der Umgang mit ihr eine Aufklärungsmaschine.

Das ist - wie gesagt - keine neue Erkenntnis aus der Silvesternacht. Für Konfliktforscher wie den Bielefelder Professor Wilhelm Heitmeyer ist eine "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" - etwa gegen Muslime, Obdachlose und Flüchtlinge - längst in der Mitte der deutschen Gesellschaft angesiedelt. Dass es so etwas gibt, ist weder ein Beleg für mangelnde Aufklärung noch für die Unachtsamkeit der Verfassungsorgane. Weil jede staatliche Repression nach den Worten Heitmeyers zu einer Art Innovation führt: "Man kann Gruppen verbieten, aber dann gründen sich neue." In diesem Sinne ist Rechtspopulismus ein lernendes System, gegen das die Politik bislang kaum Mittel finden konnte. Wahrscheinlich wird mit Köln der Rechtspopulismus in Deutschland sogar normal; in einigen anderen europäischen Ländern ist er längst kein Ausdruck nur des Protestes mehr. Dennoch, Deutschland ist ein Sonderfall - auch wenn diese Leier keiner mehr hören kann und will. Dadurch aber wird es nicht falsch, dass die Nazizeit und der Völkermord an den Juden nicht nur zu einer intensiven Aufklärung, sondern auch zu wirkungsvollen Tabuisierungsstrategien geführt hat. Noch immer werden rechtspopulistische Meinungen stigmatisiert. Zudem erschwert der gelegentlich bekrittelte Föderalismus, dass sich Splitterparteien auf Bundesebene bislang nicht behaupten können.

Dass überhaupt in einem reichen Land fremdenfeindliche Instinkte, nationale Hochgefühle und euroskeptische Haltungen gedeihen können, liegt genau am Reichtum unseres Landes. Der Düsseldorfer Parteienforscher Thoma Poguntke spricht dabei von einem "Wohlfahrtsstaat-Chauvinismus". Besonders politisch stabile und wirtschaftlich florierende Länder trifft es. Und es ist bezeichnend, dass eine Wurzel des modernen Rechtspopulismus ausgerechnet in Skandinavien zu finden ist, also in den vorbildlichen Wohlfahrtsstaaten.

Ein Grund dafür ist, was wir Besitzstandswahrung nennen. Wer viel hat, wird umso mehr von der Angst des Verlustes gepeinigt. Wohlstandsländer gewähren ihren Bewohnern gute, manchmal komfortable und vor allem berechenbare Lebenszusammenhänge. Sicherheit ist etwas, was jeder Mensch erreichen und bewahren möchte. Jeder Wandel kann dann zur Bedrohung werden. Wie eine irgendwie anonyme Europäische Union, die uns die Selbstständigkeit zu rauben scheint und das Geld ungerecht verteilt. Natürlich auch Zuwanderer und Flüchtlinge mit ihren fremden, zumeist unverständlichen und unverstandenen Lebensformen. Vieles hat plötzlich das Potenzial zur Bedrohung.

Die vermeintliche Gefahr muss dabei gar nicht reell sein. Studien haben ergeben, dass rechtsextreme Haltungen auch dort gedeihen, wo die Zahl etwa von Flüchtlingen sehr gering ist. Was zählt, ist die gefühlte Bedrohung. Sie imprägniert auch gegen Argumente. Ein Lernerfolg durch Aufklärungsversuche ist daher dürftig. Es regiert das Vorurteil. Das ist zwar immer falsch, doch wenn es sich am Ende zu bewahrheiten scheint, entfaltet es eine besondere Wirkung.

So sind wir wieder in Köln angelangt und in einer Silvesternacht, die das Land vielleicht stärker verändern wird, als wir es uns träumen lassen. Von der "Wir-schaffen-das"-Euphorie ist zunächst wenig übrig geblieben. Natürlich werden sich die Zeiten wieder ändern. Auch die Stimmungen. Doch zu glauben, damit seien auch die Vorbehalte aus den Köpfen all der jetzt Erregten, der Enttäuschten und Verängstigten verschwunden, wäre fatal. Deutschland wird vermutlich mit dem Rechtspopulismus leben müssen und mit ihm umgehen lernen. Die Nacht von Köln hat nur unsere hübsche Fassade niedergerissen.

(los)
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