Stuttgart "Desmal de Kretschmann, net de CDU"

Stuttgart · Diese Wahl hat der Ministerpräsident ganz persönlich gewonnen. In Baden-Württemberg wurmt die Grünen an einem historischen Abend nur eins: dass sie nicht mehr mit der SPD regieren können.

Die erste Lesung in der Domkirche St. Eberhard entstammt Jesaja: "Denkt nicht mehr daran, was früher war. Auf das, was gewesen ist, sollt ihr nicht achten." Das Paar jenseits der 50 will nach dem Schlusssegen wählen gehen. Und wen? Während er schweigt, sagt sie in schwäbischem Tonfall: "Desmal de Kretschmann, zum erschte Mal net de CDU." Man denkt an Jesaja und auch daran, was in der "FAS" zu lesen war - dass 20 Prozent der CDU-Anhänger überlegt hätten, Kretschmann zu wählen, den schwarzen Grünen oder grünen Schwarzen. Im Neuen Schloss mitten in Stuttgart erzählt jemand, dass auch Kretschmanns Vorgänger, CDU-Legende Erwin Teufel, den Nachfolger über den grünen Klee gelobt und dazu angemerkt habe: "Und er hat auch noch so a nette Frau, die Gerlinde."

Abends nach 18 Uhr sind vor allem Bier und Trollinger gefragt. In den Räumen der CDU deuten manche betroffen oder bestürzt wirkend an, jetzt erst einmal keine feste Nahrung zu sich nehmen zu mögen. Ein CDU-Sympathisant zitiert aus einer demoskopischen Kurve: "Ab September ging's mit uns steil nach unten." "Und mit denen von der AfD steil nach oben", grollt der Nebenmann. Der Name Merkel fällt in dem Zusammenhang nicht, aber die beiden lassen keinen Zweifel daran erkennen, dass es "ihre" Kanzlerin gewesen sei, die im Spätsommer die "Flüchtlings-Lawine" (so sagte es der Baden-Württemberger Wolfgang Schäuble) losgetreten hatte.

Die Sozialdemokraten lassen den Weißen vom Staatsweingut Freiburg lange im Kühlschrank. Um 18 Uhr folgt dann ein grimmiges "Prost Mahlzeit". Eine Genossin im roten Pullover schüttelt den Kopf: "Eigentlich müssten Sandwiches aufgetischt werden, denn wir wurden zwischen Grünen und CDU zerquetscht." SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel nennt das Abschneiden seiner Partei mit gequälter Miene verheerend.

Bei Grünen und Liberalen werden Helden- beziehungsweise Freudengesänge angestimmt. Selbst überzeugte linke Grüne, die mit dem konservativen Parteivater Kretschmann fremdeln, bekennen: "Der Kretsch hat's für uns gerissen, eindeutig." Als sich der Held des Tages präsentiert, will der Applaus nicht enden. Dann sagt er den für seine Grünen erlösenden Satz: "Die Baden-Württemberger haben heute Geschichte geschrieben und die Grünen zur stärksten Partei gemacht." Viele hocherfreute Grüne, auch Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, wurmt es jedoch, dass es die Koalition mit der SPD nicht mehr geben wird. Diese Einsicht trübt sogar das Kretschmann-Fest.

Sehr früh am Abend setzen die Spekulationen über künftige Regierungen ein. CDU-Landeschef Thomas Strobl favorisiert eine schwarz-rot-gelbe "Deutschland-Koalition" zwischen CDU, SPD und FDP. Der größte Verlierer, SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid, macht deutlich, dass er eine "Ampel" aus Grünen, SPD und der erstarkten FDP wünscht. Dazu signalisiert wiederum ein hörbar skeptischer FDP- Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke, es "gäbe ja noch Schwarz-Rot-Gold"; mit "Gold" meint er seine liberale Partei. Realistischerweise, so heißt es umso öfter, je länger der Koalitions-Spekulationsabend dauert, wird es entweder auf eine "Ampel" oder doch auf Grün-Schwarz hinauslaufen. Kretschmann, so ist zu hören, wäre das recht.

Und die AfD? Ihre Anhänger, die sich als die Sieger des Tages neben Kretschmann fühlen, feiern ihren Einzug ins Stuttgarter Landesparlament wie in Trance. Allein Spitzenmann Jörg Meuthen, ein Wirtschaftsprofessor, spricht fast schon unterkühlt zu den Seinen: Man habe dem enormen Druck standgehalten und sei fröhlich, dass Grün-Rot keine Mehrheit mehr habe.

(mc)
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