Türkischer Staatschef Erdogan Der unberechenbare Partner

Athen · Der Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei droht nach der Entlassung von Premierminister Davutoglu zu platzen.

Es sind verstörende Töne, die vom Bosporus herüberschallen. "Wir gehen unseren Weg, geht Ihr Euren" ruft der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Europäern zu. Und das Flüchtlingsabkommen, was soll daraus werden? "Einigt Euch, mit wem Ihr wollt", lautet Erdogans rüde Abfuhr. Nicht nur der mühsam ausgehandelte Flüchtlingspakt droht jetzt in sich zusammenzufallen. Die Beziehungen Europas zur Türkei, der die Rolle eines Sicherheitspartners an der Schwelle zum Nahen Osten zugedacht war, stehen insgesamt zur Disposition. Erdogan stellt alles infrage.

Der starke Mann in Ankara verliert keine Zeit. Kaum hat er seinen Premierminister Ahmet Davutoglu abserviert, ruft der türkische Staatschef den nächsten Tagesordnungspunkt auf: So schnell wie möglich soll jetzt die Verfassung geändert und ein Präsidialsystem eingeführt werden, das ihm eine noch größere Machtfülle verschafft. "Es gibt keinen Weg zurück, jeder sollte das inzwischen akzeptieren", sagte Erdogan bei einer Kundgebung in Istanbul. Dass Davutoglu die Allmachtsfantasien seines einstigen Förderers nicht mittrug, war nur ein Grund für seine Entlassung. Die Liste der Meinungsverschiedenheiten ist lang. Während Erdogan auf Konfrontation setzt, suchte Davutoglu den Konsens. Für europäische Politiker wie Angela Merkel war er deshalb der bevorzugte Ansprechpartner in Ankara.

Nun demontiert Erdogan auch noch Davutoglus politische Hinterlassenschaft. Die mit der EU vereinbarte Reform der Anti-Terrorgesetze lehnt der Präsident strikt ab. Er will sie sogar noch weiter fassen. Die Änderung der Anti-Terrorgesetze gehört zu den 72 Vorgaben, die Ankara für die Abschaffung der Visumpflicht umsetzen muss.

Damit droht jetzt die Geschäftsgrundlage der gesamten Vereinbarung hinfällig zu werden. Die Prämisse, dass Europa und die Türkei in der Flüchtlingsfrage an einem Strang ziehen, gilt offensichtlich nicht mehr. Der türkische Präsident Erdogan hatte schon früher einmal gedroht, Millionen Flüchtlinge in die EU zu schicken. Im vergangenen Herbst sagte er bei einem Treffen mit EU-Politikern, es könne sein, dass die Türkei den Flüchtlingen "das Tor aufmacht und ihnen gute Reise wünscht".

Schon bisher war die Türkei kein einfacher Partner. Wenn nun der exzentrische Hitzkopf Erdogan noch mehr Macht bekommt, wird das Land vollends unberechenbar. Nicht nur in den Beziehungen zu Europa drohen schwere Turbulenzen. Auch die USA haben mit Davutoglu einen wichtigen Partner verloren.

Ob und wie engagiert sich die Türkei nach Davutoglus Absetzung noch am Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beteiligen wird, ist fraglich. Für Erdogan dürfte der Krieg gegen die kurdische PKK und ihren Ableger in Syrien Vorrang haben.

Auf die Türkei kommen schwere Zeiten zu, selbst wenn die Menschen noch mehrheitlich Erdogan als ihrem starken Mann zujubeln. Der wieder auflodernde Kurdenkrieg droht das Land zu zerreißen. Mit der Ausschaltung Davutoglus setze Erdogan seinen "Marsch zur absoluten Macht" fort, schreibt der türkische Kolumnist Mustafa Akyol. Und der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu sieht sein Land bereits "auf dem Weg in eine Diktatur". Dazu passen die Begleitumstände von Davutoglus Abgang. "Bis zum letzten Atemzug" werde er seine "Loyalitätsbeziehung zu unserem Präsidenten" fortsetzen, gelobte der geschasste Davutoglu. Niemals habe er sich abfällig über Erdogan geäußert, und ihm werde "auch in Zukunft kein schlechtes Wort über die Lippen kommen", versprach er unterwürfig.

So spricht ein Untertan, der die Rache des Despoten fürchtet und um Gnade fleht.

(RP)
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