Berlin Der neue Basta-Stil

Berlin · SPD-Chef Gabriel wird vom Parteitag gedemütigt - auch weil er sich provozieren ließ.

Die 600 Delegierten erheben sich und klatschen. Sigmar Gabriel geht schweren Schrittes ans Mikrofon. Seine Stimme kippt ein wenig. "Man muss nicht erst auf Stimmzetteln dagegen sein und dann aufstehen", sagt er enttäuscht. Wenn der SPD-Vorsitzende eines jetzt nicht gebrauchen kann, dann ist das heuchlerische Unterstützung seiner Genossen.

Die SPD hat ihren Parteichef gerade auf offener Bühne mit einem Wahlergebnis von 74,3 Prozent gedemütigt. Nun sind die Delegierten über ihre eigene Tat schockiert. Dieses niederschmetternde Ergebnis war so nicht vorauszusehen. Um zu verstehen, was passiert ist, muss man einen Parteitag voller Kommunikationspannen, Missverständnisse und Misstrauen beschreiben.

Vor sechs Jahren hat Gabriel seine SPD übernommen, nach der historischen Niederlage bei der Bundestagswahl 2009. Seitdem hat er den Sozialdemokraten mit seiner zupackenden Art neues Selbstbewusstsein eingeflößt. Bei diesem Parteitag wollte er ein neues Aufbruchsignal setzen. Ein Signal für 2017, wenn er (auch nach seiner Schlappe von gestern) voraussichtlich als Kanzlerkandidat antreten wird. Er wollte die SPD sachte auf einen Mitte-Kurs und zu mehr Wirtschaftsfreundlichkeit steuern. Geschickt fädelte er einen Auftritt des Agenda-Kanzlers Gerhard Schröder ein, der offiziell die 2015 verstorbenen großen Sozialdemokraten Helmut Schmidt und Egon Bahr sowie den Schriftsteller Günter Grass ehrte. Ganz nebenbei bat Schröder die Delegierten um Unterstützung für Gabriels angestrebten Mitte-Kurs. Dieses Signal, ausgerechnet von Schröder, den die heutige Arbeitsministerin Andrea Nahles einst als "Abrissbirne des Sozialstaats" tituliert hatte, kam offensichtlich nicht gut an.

Gabriel weiß, dass die SPD immer noch empfindlich auf Schröder, dessen Programmatik und Regierungsstil reagiert. Dennoch lässt er sich beim Parteitag zum Basta-Stil hinreißen. Es ist die Juso-Chefin Johanna Uekermann, die ihn mit dem Hinweis provoziert, er handele nicht so, wie er rede. Bei Gabriel hat sich gegen Uekermann, die ihm kürzlich für seine Arbeit die Schulnote Vier minus erteilte, zu viel aufgestaut, als dass er Gelassenheit an den Tag legen könnte. Zur Intervention tritt er prompt wieder ans Mikrofon und rammt die SPD-Nachwuchschefin rhetorisch in den Boden.

Es folgen 30 Redner, die mehr oder weniger über den Parteichef zu nörgeln haben. Nun weiß jeder, der das politische Geschäft betreibt, dass die Unzufriedenen sich eher zu Wort melden. Und während Gabriel in seiner Bewerbungsrede Respekt für die Andersdenkenden in jeder Hinsicht eingefordert hatte, fühlt er sich immer wieder provoziert und lässt sich auf eine Intervention nach der anderen ein. Das wird ihn weitere Prozente gekostet haben. So wird auch klar, was der linke Parteiflügel ohnehin gemutmaßt hatte: Mitte-Kurs und Wirtschaftsfreundlichkeit verfolgt Gabriel mit Verve, den Gegnern von Vorratsdatenspeicherung und Freihandelsabkommen TTIP kommt er nur rhetorisch entgegen.

In seiner fast zweistündigen Bewerbungsrede, an der er nach Angaben seiner Mitarbeiter bis zum Schluss gearbeitet hat, klingt er noch staatstragend, leidenschaftlich, nachdenklich, selbstironisch - ein gut aufgelegter Gabriel. Der Kanzlerin wirft er vor, wegen ihrer Sparpolitik in der Euro-Krise verantwortlich zu sein für den Erfolg des Front National in Frankreich. In Sachen Flüchtlingskrise ruft er Merkel zu: "Man kann sich nicht morgens dafür feiern lassen, dass man eine Million Flüchtlinge nach Deutschland holt, und abends im Koalitionsausschuss Vorschläge machen, wie man sie schlecht behandeln könnte." Mit einer Anekdote von seiner Tochter sagt Gabriel der Kanzlerin den Kampf an. "Wie lange musst du immer noch zu Angela Merkel fahren?", habe die dreijährige Marie ihn gefragt. Gabriels Antwort: "Keine Angst, nur noch bis 2017." Was am Vormittag ein gelungener Scherz ist, wirkt am Abend wie die düstere Ankündigung eines Parteichefs auf Abruf.

Nach dem miesen Wahlergebnis ist Gabriel entsetzt über seinen eigenen Laden. Dass die Vorsitzendenwahl per Tablet im ersten Anlauf scheiterte und dann wieder per Zettel abgestimmt wurde, ist da nur noch eine peinliche Randnotiz. Gabriel hält nun den Genossen vor, was die Presse kommentieren werde. Es werde heißen: "Kann man eine Partei in einen Wahlsieg führen, die so unsicher ist über ihren Vorsitzenden?" Da sei ja auch was dran, räumt Gabriel ein. Dann deutet er das Ergebnis trotzig und tapfer positiv für sich. "Ich verstehe das Ergebnis wie folgt", sagt er: "Jedem ist klar, was ich will." Es gebe 25 Prozent, die nicht folgten. "Mit der Wahl ist es entschieden." Ähnlich analysieren Gabriels Anhänger hinterher, als sie sich wieder gefasst haben: Es sei halt ein ehrliches Ergebnis. Dennoch sitzt der Stachel tief, dass kaum einer die Abstrafung angekündigt hat.

Gabriel hätte es bei seiner nüchternen Analyse belassen können, dass er seinen Weg nun weitergehen werde. Doch so abgeklärt ist er eben nicht. Daher holt er erneut aus, bevor er die Wahl annimmt. "Die SPD ist eine Leistungspartei", ruft er und macht klar, dass er sich für diejenigen zuständig sieht, die fleißig sind und den gerechten Lohn dafür erhalten sollen. Er bekennt auch noch einmal: "Und ja, ich bin für innere Sicherheit, und deshalb bin ich für die Vorratsdatenspeicherung."

Dann erteilt er auch noch eine Absage an eins der Lieblingsprojekte des linken Flügels, die Vermögensteuer. Dreimal hätten die Sozialdemokraten das im Wahlkampf gefordert und dreimal Schiffbruch erlitten. "Ich finde, wir sollten das lassen", sagt er: "Ich habe etwas dagegen, dass wir Verteilungsgerechtigkeit über Steuergerechtigkeit erreichen können." Dieser Auftritt ist Basta-Politik in Reinkultur.

(qua)
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