Istanbul Der Kurdenkonflikt vergiftet die Türkei

Istanbul · Tote Zivilisten bei Armee-Einsätzen und Anschläge auf Polizisten schüren den Hass zwischen den Volksgruppen.

Gut eine Woche nach dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der südosttürkischen Stadt Gaziantep ist auf das dortige Polizei-Hauptquartier ein Autobomben-Anschlag verübt worden. Das Amt des Gouverneurs teilte mit, ein Polizist sei bei der Detonation am Morgen des Maifeiertages getötet worden. 19 Beamte und vier Zivilisten seien verletzt worden.

Zunächst bekannte sich niemand zu der Tat. Aber in diesen Tagen richtet sich der Verdacht immer auf zwei Gruppierungen: entweder die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) oder aber die kurdische Untergrundorganisation PKK. Der IS verübt Anschläge in der Türkei, seitdem sich das Nato-Land nach langem Zögern dem Kampf der internationalen Koalition gegen die Islamisten im Irak und in Syrien angeschlossen hat. Und die PKK hat den bewaffneten Kampf wieder aufgenommen, nachdem vergangenes Jahr der Friedensprozess mit der türkischen Regierung geplatzt war.

Die blutigen Auswirkungen des syrischen Bürgerkriegs auf die Türkei sind schlimm. Aber wohl noch schlimmer ist der wiederaufgeflammte Kurdenkonflikt, der das Land mehr und mehr spaltet. Das Klima scheint inzwischen vollkommen vergiftet. So gingen am Donnerstag vor laufenden Kameras Politiker der Regierungspartei AKP und der Kurdenpartei HDP im Parlament aufeinander los. Fäuste flogen, Stühle krachten, Frauen schrien, ein Abgeordneter sprang auf den Sitzungstisch. Die wüste Schlägerei im Ausschuss war der zweite solche Zwischenfall innerhalb von 24 Stunden. Schon am Mittwoch hatten sich AKP- und HDP-Vertreter gerauft, Beschimpfungen wie "Terrorist" und "Mörder" hallten durch den Saal.

Die Gewalt im Hohen Haus zeigt, wie sehr der neu aufgeflammte Kurdenkonflikt das gesellschaftliche und politische Klima im Land bestimmt. Noch vor einem Jahr redeten Regierung und HDP über eine endgültige Friedenslösung für das Kurdenproblem. Inzwischen sprechen längst wieder die Waffen - und die Stimmung zwischen Türken und Kurden wird immer feindseliger. Selbst im fernen Deutschland gab es Zusammenstöße zwischen den beiden Volksgruppen. In der Türkei berichten die Fernsehsender fast jeden Tag über den Tod von Soldaten im Kampf gegen die Kurdenrebellen von der PKK. Am Freitag gab der Generalstab bekannt, zwei weitere Soldaten seien ihren im Gefecht erlittenen Verletzungen erlegen. Aus der Kurdenmetropole Diyarbakir wurde ein neuer Anschlag mutmaßlicher kurdischer Extremisten gemeldet. Insgesamt sind mehr als 400 Soldaten, Polizisten und regierungstreue Milizionäre seit dem Neubeginn der Auseinandersetzungen im vergangenen Sommer getötet worden; kurdische Extremisten töteten mehr als 60 Menschen bei Terroranschlägen in Ankara. Im Kurdengebiet starben nach HDP-Angaben seit dem Sommer fast 700 Zivilisten bei Gefechten. Die Zahl der getöteten PKK-Kämpfer wird von der Armee mit rund 4000 angegeben.

Auch wenn die Angaben nicht immer nachprüfbar sind, lassen die Zahlen erahnen, wie viel Leid über Familien in der ganzen Türkei hereingebrochen ist. Dieses Leid schürt den Hass. Im westanatolischen Usak wurden nach Berichten kurdischer Medien jetzt zwei Bauarbeiter niedergestochen, weil sie auf der Straße Kurdisch sprachen. Beide liegen mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus, doch die mutmaßlichen Täter wurden auf freien Fuß gesetzt.

Die deutschstämmige Kurdenpolitikerin Feleknas Uca protestierte bei der Regierung gegen ein rechtsextremes Rap-Video, das in der bei den Kämpfen zerstörten Altstadt von Diyarbakir gefilmt wurde. In dem vierminütigen Clip hetzt der bewaffnete und vermummte Rapper gegen Christen und Kurden. Die Lösung für den Kurdenkonflikt sei einfach, heißt es in dem Lied: "Wenn sie sich nicht ändern, verpass' ihnen einen Kopfschuss!" Ein Polizist wurde inzwischen im Zusammenhang mit dem Clip suspendiert.

Viel Aussicht auf eine baldige Deeskalation besteht nicht. Der PKK-Kommandant Cemil Bayik drohte in einem Interview mit der britischen BBC mit einer Ausweitung des Konflikts, falls die türkische Regierung die Militäroperationen im Südosten des Landes nicht einstellen sollte. Doch Präsident Recep Tayyip Erdogan denkt nicht daran. Der Kampf gegen die PKK werde weitergehen, sagte er kürzlich. Einen Neubeginn der Friedensgespräche mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan und der HDP schließt Erdogan aus: "Es gibt nichts zu verhandeln."

(RP)
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