Demokratie-Serie (3) Demokratie - noch zu männlich

Düsseldorf · Noch immer sind Frauen trotz jahrzehntelanger Kämpfe um Gleichstellung auch in westlichen Parlamenten unterrepräsentiert. Mit dem Erstarken der Rechten drohen erneut Rückschritte.

 Die " Suffragetten" waren Anfang des 20. Jahrhunderts die Speerspitze der Frauenbewegung. Hier protestieren einige von ihnen in den USA für das Frauenwahlrecht.

Die " Suffragetten" waren Anfang des 20. Jahrhunderts die Speerspitze der Frauenbewegung. Hier protestieren einige von ihnen in den USA für das Frauenwahlrecht.

Foto: dpa

Eine junge Athenerin tut etwas Ungeheuerliches. Von dem Krieg, den die Männer ihres Landes seit 20 Jahren führen, hat sie genug. Sie will nicht länger zusehen, wie Ehegatten, Söhne, Väter dahingemetzelt werden. So bringt sie die Athenerinnen dazu, sich mit den Frauen des Gegners zu verbünden und in einen Sexstreik zu treten. Der Plan geht auf - Athen und Sparta schließen Frieden.

Die Komödie "Lysistrata" des griechischen Dichters Aristophanes wurde im Jahr 411 v. Chr. uraufgeführt. Rund 2400 Jahre später wirkt es nicht unwahrscheinlich, dass Frauen auch heute auf ein solches Mittel angewiesen wären, um über Krieg und Frieden mitzubestimmen: Selbst in den demokratischen Systemen der westlichen Welt sind Frauen bis heute nicht angemessen repräsentiert.

Der weltweite Frauenanteil in den Parlamenten liegt Angaben der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) zufolge auch im 21. Jahrhundert noch zwischen durchschnittlich 14 Prozent (in Systemen mit Mehrheitswahlrecht) und 25 Prozent (in Systemen, in denen das Verhältniswahlrecht gilt). Im Deutschen Bundestag sitzen laut EAF 37,1 Prozent weibliche Abgeordnete (Stand: November 2016) - obwohl Frauen etwas mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung ausmachen. Besonders schwach sind sie hierzulande auf kommunaler Ebene repräsentiert: Nur 9,1 Prozent der Bürgermeister sind weiblich.

Seit 200 Jahren kämpfen Frauen in Deutschland um gleichberechtigte politische Teilhabe. Inspiriert von den Ideen der Französischen Revolution kristallisierten sich im 19. Jahrhundert zwei Strömungen heraus: eine bürgerliche und eine proletarische. 1843 war es, als die Bürgerstochter Louise Otto-Peters forderte: "Die Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates ist nicht ein Recht, sondern eine Pflicht." Sie gilt als eine der Gründerinnen der ersten Welle der deutschen Frauenbewegung. Zusammen mit Auguste Schmidt rief sie den "Allgemeinen deutschen Frauenverein" ins Leben, der sich unter anderem für eine freie Berufswahl einsetzte.

Und für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit - eine Forderung, die noch heute aktuell ist. Die proletarische Frauenbewegung, angeführt von der Sozialistin Clara Zetkin setzte einige Jahrzehnte später zwar mit der Forderung eines verbesserten Mutterschutzes und Arbeitszeitverkürzungen etwas andere Schwerpunkte. Einig waren sich die Frauen aber in ihrer Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter in Politik und Wirtschaft. Sie hatten Erfolg: Im November 1918 wurde das aktive und passive Wahlrecht der Frauen in Deutschland gesetzlich verankert.

Rund 20 Jahre später drehten die Nationalsozialisten die Zeit zurück: Das passive Wahlrecht wurde den Frauen genommen, ebenso die Möglichkeit zur Habilitation. Bestimmte wissenschaftliche und technische Berufe wurden Frauen verboten. Das änderte sich erst mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. In Artikel 3 des Grundgesetzes steht: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt."

Auch 1949 war von Gleichberechtigung keine Rede

De facto konnte 1949 von Gleichberechtigung noch keine Rede sein. In Deutschland galt die "Hausfrauenehe"; Frauen waren zur Haushaltsführung verpflichtet und mussten die Erlaubnis ihres Ehemannes einholen, wenn sie berufstätig sein wollten. In politischen Ämtern waren Frauen in der jungen Bundesrepublik kaum vertreten. 1961 wurde Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) als erste Frau zur Bundesministerin ernannt, sie leitete das Gesundheitsressort. Weitere 44 Jahre dauerte es bis zur ersten Bundeskanzlerin.

Der zweiten Welle der Frauenbewegung gelang es, weitere Anachronismen zu beenden. In der Studentenbewegung der 60er Jahre machten Frauen in autonomen Gruppen und Netzwerken öffentlichkeitswirksam auf Benachteiligungen aufmerksam. Zu den Hauptforderungen zählten das Recht auf Selbstbestimmung, aktives Mitspracherecht in der Politik oder die Straffreiheit bei Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten drei Monaten.

Und heute? "Fraueninteressen sind in Deutschland im Vergleich zu anderen Belangen wie etwa dem Umweltschutz schwach organisiert", sagt Helga Lukoschat, Chefin der EAF in Berlin. Eine Ursache sei, dass Frauen sich in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen und Loyalitäten befänden - anders als beispielsweise Landwirte, die in einem Bauernverband leicht Gleichgesinnte treffen könnten, um gemeinsam ihre Interessen zu vertreten.

Dabei gibt es Lukoschat zufolge in Deutschland einen Reformstau, gerade in geschlechterpolitischen Fragen, etwa bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder der gleichberechtigen Aufteilung zwischen Ehepartnern bei Elternzeit und Elterngeld. Die Wissenschaftlerin spricht sich für ein Paritätsgesetz in der Politik aus, wie es in Frankreich seit 2001 gilt. Demnach müssen auf Kandidatenlisten nach dem Reißverschluss-Prinzip abwechselnd eine Frau und ein Mann platziert sein. Ein solches Gesetz könne zudem verhindern, dass der Frauenanteil nach den nächsten Wahlen wieder sinke, wenn die AfD in weitere Parlamente einzieht, meint Lukoschat. "Die AfD hat in der Regel weniger Kandidatinnen als andere Parteien", so die EAF-Chefin.

Mit der Sorge vor Rückschritten in der Gleichstellung steht Lukoschat spätestens seit der Wahl von Donald Trump in den USA nicht allein. Auch wenn sich viele deutsche Politikerinnen bisher nicht so deutlich äußern wie Österreichs ehemalige Frauenministerin und amtierende SPÖ-Frauenvorsitzende Gabriele Heinisch-Hosek, die vor einiger Zeit in einem Interview sagte: "Dieser Rückschritt bei Frauenrechten ist deutlich zu spüren."

(RP)
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