Paris Das Puzzle von Nizza

Paris · Erst vermuteten die Ermittler eine Express-Radikalisierung beim Attentäter von Nizza. Mittlerweile sind sie sich sicher: Der 31-Jährige bereitete die Tat schon länger vor - und er hatte Komplizen.

Das Ermittlungspuzzle ist auch eine Woche nach dem Anschlag von Nizza noch lückenhaft. Doch es ergibt sich ein deutlich anderes Bild als zu Beginn, als in Paris von einer Art Radikalisierung im Schnelldurchlauf die Rede war. Vielmehr hatte der 31-jährige Attentäter Mohamed Lahouaiej Bouhlelden den Anschlag mit dem Lastwagen auf der Strandpromenade wohl schon Monate im Sinn - und mehrere Komplizen.

Was wird den mutmaßlichen Komplizen vorgeworfen?

Die fünf Verdächtigen in Untersuchungshaft wurden in den Tagen nach dem Anschlag festgenommen. Sie sollen dem Täter auf die eine oder andere Weise geholfen haben. Wie viel sie von dem Anschlagsplan wussten, ist noch nicht abschließend geklärt. Manche hatten regen Kontakt untereinander. Drei Männer beschuldigt die Staatsanwaltschaft der Beihilfe zum Mord im Zusammenhang mit einem Terrorakt. Einem albanischen Paar wirft sie Verstöße gegen das Waffenrecht vor - ebenfalls im Zusammenhang mit dem Terrorakt. Das Paar soll zusammen mit dem 21-jährigen Ramzi A., einem der drei Männer, eine Rolle bei der Beschaffung der Pistole des Angreifers gespielt haben.

Ein "einsamer Wolf" war der Angreifer also nicht?

Die These eines klassischen Einzeltäters scheint widerlegt. Mit den drei wegen Beihilfe Beschuldigten stand der Attentäter in teils sehr engem Kontakt. Mit dem 40-jährigen Mohamed Walid G. telefonierte er innerhalb eines Jahres 1278 Mal. Dieser war ebenso wie Chokri C. (37) in den Tagen vor dem Anschlag nachweislich in dem als Waffe verwendeten Lastwagen. Ihnen und Ramzi A. schickte der Attentäter am 5. Juli eine SMS mit dem Namen eines Autoverleihs. Dort reservierte er am gleichen Tag einen weiteren Lastwagen für den 12. und 13. Juli, den er dann wieder stornierte.

Ramzi A. dankte er wenige Minuten vor der Attacke für die Waffe und fragte nach weiteren. Laut Staatsanwalt François Molins machte er dabei auch Angaben, wozu diese gedacht waren - den genauen Inhalt verriet der Ermittler nicht. Und Mohamed Walid G. filmte sich am Tatort, als dort noch Rettungskräfte im Einsatz waren.

Woraus schließt die Staatsanwaltschaft, dass der Attentäter die Tat schon länger vorbereitete?

Aus einer ganzen Reihe von Hinweisen, die vor allem auf seinem Handy entdeckt wurden. Darunter laut Chefermittler Molins "aufschlussreiche Fotos", etwa von Menschenmassen bei Feuerwerken und einem Konzert auf der Strandpromenade im Sommer 2015, sowie ein Artikel über einen Mann, der vorsätzlich auf eine Restaurant-Terrasse raste. Eine Facebook-Nachricht von Chokri C. an den späteren Attentäter im April dieses Jahres scheint besonders verstörend: "Lade den Lastwagen, tu' 2000 Tonnen Eisen rein, und fick, trenn' die Bremsen durch mein Freund, und ich gucke zu." In den Tagen vor dem Anschlag fuhr Lahouaiej Bouhlel mehrmals mit dem Lastwagen auf die Promenade.

Was weiß man nun zur Gesinnung des Attentäters?

Die Motivlage ist nicht endgültig geklärt, es gibt aber Hinweise auf Sympathien für den Islamismus. Im Januar 2015 erhielt der Attentäter eine SMS, in der Mohamed Walid G. sich über den islamistischen Anschlag auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo" freute. Sein eigener Lebensstil war weit von einer strikten Auslegung des Islam entfernt: Er aß Schweinefleisch, trank Alkohol und nahm Drogen. Den Behörden war er nie als Extremist aufgefallen. Beweise dafür, dass er ein "Soldat" der Terrormiliz IS war, gibt es nicht.

(dpa)
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