Analyse Das Inferno in Syrien soll Putins Macht in Moskau sichern

Damaskus/Moskau · Seit einem Jahr kämpft Russland in Syrien an der Seite von Machthaber Assad. Es ist ein zynisches Kalkül, das den Kremlchef zu dieser Politik veranlasst.

Bunkerbrechende Bomben fallen auf Krankenhäuser. Kinder sterben oder werden verstümmelt. Hilfskonvois geraten unter Beschuss. Neutrale Beobachter sprechen beim Blick auf Syrien von Gräueltaten wie im Zweiten Weltkrieg. Und doch gibt es zwei Männer, die offenkundig kein Interesse daran haben, das Morden zu beenden: den syrischen Präsidenten Baschar al Assad und seinen russischen Protektor Wladimir Putin. Seit einem Jahr kämpft Putin an Assads Seite - am 30. September 2015 flogen russische Kampfbomber erste Angriffe in Syrien.

Fast 10.000 Menschen seien infolge russischer Bombardements in Syrien ums Leben gekommen, unter ihnen rund 3800 Zivilisten, von diesen wiederum mindestens 900 Kinder, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte gestern. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenze erklärte, willkürlicher Beschuss belagerter Viertel in Aleppo habe "ein Blutbad unter den Zivilisten angerichtet".

Einmal mehr steht die Diplomatie ein Jahr nach Russlands Eingreifen vor einem Fiasko. Die USA befänden sich "an der Grenze zum Abbruch der Kooperation" mit Russland in der Syrienfrage, sagte Außenminister John Kerry. Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärten, es liege an Russland und Assad, die Kämpfe zu beenden. Doch der Einfluss des Westens auf den Gang der Dinge in Syrien ist begrenzt.

Assad kämpft um sein politisches und wohl auch sein physisches Überleben. Doch was treibt Putin dazu, die Weltgemeinschaft mit solchen Taten immer weiter gegen sich und sein Land aufzubringen? Der erste Teil der Antwort lautet: Weil er es kann. Niemand ist derzeit in der Lage oder willens, die Russen zu stoppen. Das nutzt er, um zu töten.

Warum? Der zweite und wichtigere Teil der Antwort lautet: Putin demonstriert seine Stärke so rücksichtslos um der Demonstration willen. Er lässt töten, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Seit Machiavelli gehört es zum kleinen Einmaleins der Machtpolitik, dass Herrscher, die ihren Einfluss nicht durch eigene Erfolge und den Einsatz von Zuckerbrot sichern oder ausweiten können, zur Peitsche greifen (oder eben zu Bomben). Machterhalt und Machtausbau durch Gewaltausübung und Terror.

Russland befindet sich im Weltmaßstab in einem scheinbar unaufhaltsamen Niedergang. Um diesen dramatischen, für Männer wie Putin offenbar unerträglichen Bedeutungsverlust wettzumachen, praktiziert der Kremlchef seit Jahren eine autosuggestive Politik der Stärke. Dabei ist das Militär angesichts der sinkenden Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft inzwischen das einzig verbliebene Mittel der Wahl. Putin zeigt seit 16 Jahren, dass er Gewinne abschöpft und sie ins Militär pumpt, statt mit einer echten Modernisierung seines Riesenreiches zu beginnen. Im besten Fall werden ein steigender Leidensdruck und Einsicht zur Besserung führen. Im schlechtesten Fall wird Putin dramatisch scheitern und Chaos hinterlassen.

(RP)
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