Analyse Das Diesel-Dilemma

Düsseldorf · Landesweit drohen in Städten Diesel-Fahrverbote. Der NRW-Umweltminister hat nun einen Plan vorgelegt, wie sich diese verhindern lassen. Kern ist ein 15-Milliarden-Fonds, den die Auto-Industrie füllt. Ist das mehr als ein Wahlkampfmanöver?

Das Dilemma beim Diesel lässt sich an den Händen von NRW-Umweltminister Johannes Remmel ablesen. Er windet sie, hebt sie warnend und lässt sie dann doch wieder sinken. Als Grüner müsste er für den Umweltschutz eintreten, das heißt, notfalls für Fahrverbote von Diesel-Fahrzeugen in Städten sein, wenn diese dort weiterhin dazu beitragen, die Grenzwerte bei giftigen Stickoxiden zu überschreiten. Als Mitglied einer Partei, die bei der Landtagswahl gewählt werden will, würde es dem Minister natürlich nicht in den Sinn kommen, Millionen potenzielle dieselfahrende Wähler zu verprellen.

Also sagt Remmel: "Ich bin gegen Fahrverbote." Dennoch sei man in einer höchst dramatischen Situation - denn in vielen Großstädten drohen deutschlandweit Fahrverbote (siehe Infokasten). In NRW sind unter anderem Düsseldorf, Essen, Köln und Bonn betroffen. Gestern legte der Minister daher einen eigenen Plan vor:

Kern ist ein 15 Milliarden Euro schwerer Ausgleichs- und Entschädigungsfonds, den die Bundesregierung einrichten soll. Verwalten soll ihn die staatliche Förderbank KfW. Auto-Besitzer sollen daraus Geld erhalten, um ihre Diesel-Fahrzeuge mit der Schadstoffklasse Euro 5 oder Euro 6 nachrüsten zu lassen, falls diese nicht die Grenzwerte einhalten. Fahrer, bei deren Wagen die Nachrüstung nicht möglich ist, sollen ihren Pkw zum Sachwert, also dem Kaufpreis abzüglich des Werteverlusts durch die Nutzung, zurückgeben können. Das Geld für diesen Fonds sollen die betroffenen Auto-Hersteller zahlen. "Gemessen an dem, was ein großer deutscher Auto-Konzern in den USA an Strafen zahlt, ist das ein Klacks", so Remmel. Es sei keine Summe, die die Industrie nicht aufbringen könne.

Darüber hinaus solle mithilfe eines fünf Milliarden Euro schweren Soforthilfeprogramms dafür gesorgt werden, dass verschiedene Maßnahmen ergriffen werden können, mit denen sich die Stickoxide weiter reduzieren lassen -etwa die Anschaffung neuer Elektrobusse, die Elektrifizierung der Bahnstrecken oder auch der Einbau schadstoffärmerer Schiffsmotoren, die auf Flüssen wie dem Rhein ebenfalls dafür sorgen, dass in anliegenden Städten wie Düsseldorf dicke Luft herrscht.

Die Frage ist nur: Sind die Pläne realistisch oder doch nur Wahlkampf-Getöse? Fragt man den Automobilverband VDA, ist die Antwort klar: Man verstehe die Forderung nach Entschädigungen nicht, "dafür besteht jenseits des laufenden Wahlkampfes kein sachlicher Anlass". Dennoch ist Remmels Plan mehr als nur ein Wahlkampf-Papier - es ist vielmehr ein weiterer Diskussionsbeitrag in dem Ringen der Politik um eine Lösung im Diesel-Dilemma.

Denn klar ist: Irgendeine Lösung braucht es - und die Auto-Industrie wird dabei auch eine Rolle übernehmen müssen. Für die Hersteller ist der Diesel wichtig, weil die Fahrzeuge weniger Kohlendioxid (CO2) ausstoßen als Benziner. Die von der EU-Kommission vorgegebe Schadstoffgrenzwerte ab 2020 werden sie ohne Diesel-Fahrzeuge kaum erreichen können, weil die Alternativen wie etwa Elektroautos bei den Kunden kaum nachgefragt werden. Der Übergang muss daher fließend erfolgen. "Man kann die Diesel-Produktion nicht von heute auf morgen runterfahren, wenn der Markt einbricht", sagte unlängst ein hochrangiger Manager aus der Branche - natürlich inoffiziell.

Fahrverbote sind für die Branche daher besonders heikel, denn sie schüren Unsicherheit und lassen den Markt dadurch schneller einbrechen, als den Herstellern lieb sein kann. Der Diesel-Anteil an den Neuzulassungen ging zuletzt bereits deutlich zurück.

Heikel würde die Situation vor allem dann, wenn Unternehmen plötzlich auf den Diesel verzichten würden. Sie sind eine der wichtigsten Käufergruppen. 2016 standen sie mit 568.600 Diesel-Pkw-Neuzulassungen für 37 Prozent aller Diesel-Pkw-Käufe in Deutschland, zeigt eine Untersuchung des Car-Instituts an der Universität Duisburg-Essen.

Man stelle sich nur mal vor, die Mitarbeiter der Telekom dürften mit ihren Dienstwagen nicht mehr nach Bonn fahren - oder die von Henkel oder der Metro nach Düsseldorf. Allein bei dem Handelskonzern Metro gibt es 1900 Dienstfahrzeuge deutschlandweit, der Großteil fährt mit Dieselmotor. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Dax-Konzernen: Beim Energiekonzern RWE beträgt der Anteil der Dieselmotoren 90 Prozent, beim Pharmakonzern Bayer sind es immerhin 45 Prozent. Weil der Großteil der Fahrzeuge jedoch geleast wird, erfüllen viele Dienstwagen bereits die Euro-6-Norm. Außerdem könnten die Konzerne ihre Flotte durch das Leasing bei Fahrverboten vergleichsweise schnell umstellen.

Ein Handwerker oder Händler, der einen Transporter kauft, oder private Käufer können das nicht. Ihnen droht der größte Schaden: einerseits durch Fahrverbote, andererseits durch den geringeren Restverkaufswert ihrer Autos - wer kauft noch einen Diesel, wenn man damit nicht in die Städte darf?

Auch NRW-Umweltminister Johannes Remmel sagt: "Ich will keine Fahrverbote, weil die Verbraucher dann die Suppe auslöffeln müssen, die ihnen andere eingebrockt haben." Immerhin: Vieles deutet darauf hin, dass es irgendeine Art von Lösung geben könnte. Die Gerichtsurteile und die Ankündigung von Fahrverboten in Stuttgart haben offenbar Wirkung gezeigt. Laut VDA arbeiten die Hersteller an Lösungen, um eine deutliche Verbesserung beim Schadstoffausstoß von Euro-5-Fahrzeugen zu erreichen. Und der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, der mit dem Fahrverbot in Stuttgart vorgeprescht war, konnte zuletzt öffentlich bereits ein wenig zurückrudern: "Unter der Maßgabe, dass die Nachrüstung klappt und wir so die Ziele, die mit dem Luftreinhalteplan erreicht werden sollen, erreichen, sind die Fahrverbote noch nicht in Stein gemeißelt."

(frin)
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