Greensboro Clintons Neustart

Greensboro · Die US-Präsidentschaftskandidatin hat ihren Wahlkampf wieder aufgenommen. Zuvor litt sie drei Tage an einer Lungenentzündung.

Eigentlich ist mit James Brown schon alles gesagt. "I feel good", dröhnt es aus den Lautsprechern in der Aula der University of North Carolina in Greensboro. Was Hillary Clinton an diesem Tag kundtun will, mit der Liedzeile des legendären Soulsängers ist es prägnant auf den Punkt gebracht. Als sie die Bühne betritt, als sie die Bühne wieder verlässt: Browns unverwechselbare Stimme bildet die akustische Kulisse als wäre es ein eigens für sie geschriebener Wahlkampfsong.

Alles andere ist zweitrangig an dem Tag, an dem sich die Präsidentschaftskandidatin zurückmeldet. "Ich hatte neulich eine Erkältung, die sich als Lungenentzündung entpuppte", witzelt sie. "Selbst ich musste einsehen, dass mir ein paar Tage Ruhe vielleicht guttun." Dann versucht Clinton, ihre Patientengeschichte in eine politische Botschaft umzumünzen. Millionen von Müttern und Vätern könnten es sich nicht leisten, bei Krankheit zu Hause zu bleiben, weil sie über keinerlei finanzielle Reserven verfügten. Für diese Leute wolle sie kämpfen, "für all jene, die am Boden liegen und doch jedes Mal wieder aufstehen".

Wichtiger ist, dass sie überhaupt redet. Dass sie die Rede durchhält, ohne ein Zeichen von Schwäche erkennen zu lassen nach der New Yorker Schrecksekunde, als sie bei einer Gedenkfeier für die Opfer der Anschläge des 11. Septembers 2001 zusammenbrach. 23 Minuten lang steht sie am Pult, für ihre Verhältnisse ist es ein kurzer Auftritt. Nach 16 Minuten kippt ihre Stimme ins Heisere, doch das legt sich bald wieder. Sonst gibt es nichts, was Wasser auf die Spekulationsmühlen treiben könnte. Völlig genesen ist Clinton zwar noch nicht, aber sie scheint auf gutem Wege. Jedenfalls gibt sie die Eiserne Lady, die sich auch von einer Lungenentzündung nicht aus der Bahn werfen lässt. Man könne ihr manches vorwerfen, sagt sie grimmig entschlossen, aber nicht, dass sie kapituliere.

Hillary und die Gesundheit - an dem Thema hat sich, jenseits aller wahltaktischen Manöver, eine gesellschaftspolitische Debatte entzündet. Thema: Gleichberechtigung im 21. Jahrhundert. Clintons Anhängerinnen, aber nicht nur die, sprechen vom Messen mit zweierlei Maß. Wenn bei der früheren First Lady schon ein Schwächeanfall die Frage nach Ersatzleuten befeuere, während ihrem Kontrahenten Donald Trump eine Showeinlage in einem Fernsehstudio genüge, um Fragen nach seiner Fitness zu umschiffen, dann sei etwas faul.

Hier die Frau, die sich keine Schwäche erlauben darf. Dort der Macho, dem man scheinbar alles nachsieht. Eine groteske Schieflage, kritisiert Kathleen Parker, Kolumnistin der "Washington Post". "Seit wann muss sich jemand schuldig fühlen, wenn er krank wird, was uns allen ab und an widerfährt?" Für Frauen habe es begonnen, als sie auf den von Männern dominierten Arbeitsmarkt strömten und doppelt so hart arbeiten mussten, auf dass man ihnen bescheinige, so gut wie die Männer zu sein. Ergo neigten sie bis heute dazu, alles zu verbergen, was den Eindruck erwecken könnte, sie seien das schwache Geschlecht. Sich ja keine Blöße geben, diese Maxime habe Clinton zunächst wohl veranlasst, aus ihrer Lungenentzündung ein Geheimnis zu machen.

(RP)
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