Analyse Burgfrieden bis zur Bundestagswahl

analyse Auf dem Parteitag will AfD-Chefin Frauke Petry eine Richtungsentscheidung erzwingen - gegen das Lager um Björn Höcke. Sollte dies nicht gelingen, gibt es offenbar Überlegungen, die Partei zu spalten.

Nach dem Verzicht von Frauke Petry, als Spitzenkandidatin der AfD in den Bundestagswahlkampf zu ziehen, verhärten sich die Fronten innerhalb der Partei. Am Wochenende treffen sich 600 Delegierte zum AfD-Bundesparteitag in Köln. Dort soll es nicht nur um das Wahlprogramm gehen, sondern auch um die Ausrichtung der Partei. Also um den Kampf der als gemäßigt auftretenden Realos Frauke Petry und ihres Ehemanns, NRW-AfD-Chef Marcus Pretzell, auf der einen Seite und dem völkischen-fundamentalistischen Flügel um Parteivize Alexander Gauland und Björn Höcke auf der anderen Seite.

Sollten die Realos um Petry unter den Delegierten des Parteitags erkennbar keine Mehrheit finden, soll nach Informationen unserer Redaktion ein Antrag gestellt werden, alle strittigen Punkte auf einen Parteitag nach der Bundestagswahl zu verschieben. Bis dahin solle dann ein Burgfrieden gelten. Dieser Vorschlag werde von beiden Lagern unterstützt, heißt es aus der AfD-Spitze. Die Demonstrationen von AfD-Gegnern in Köln würden dazu beitragen, unter den Delegierten eine Wagenburgmentalität zu schaffen, schätzt ein AfD-Spitzenfunktionär. Das sollte genügen, den internen Streit zu verschieben. Den Petry/Pretzell-Unterstützern sei bewusst, dass die Zeit gegen sie laufe. Denn das völkisch-nationale Lager um Höcke und Gauland gewinne in der AfD immer mehr Unterstützer.

Von einem Parteifunktionär aus dem engen Umfeld von Petry und Pretzell heißt es, dass das AfD-Paar zu der Überzeugung gelangt sei, auf Dauer mit Gauland und Höcke nicht gemeinsam in der Partei sein zu können. Deshalb wolle man jetzt noch gute Miene zum bösen Spiel machen und die Wahlen in NRW und auf Bundesebene abwarten. Sollte es bis dahin aber nicht gelungen sein, die AfD auf einen realpolitischen Kurs zu zwingen und Höcke aus der Partei zu drängen, hätten die Anhänger des Petry-Lagers dieses Szenario entworfen: Sie wollen nach der Bundestagswahl mit ihren Abgeordneten die AfD-Fraktionen im Bundestag und in den Landtagen verlassen und eine neue Partei gründen - eine Art bundesweite CSU.

Allerdings würden sie nicht den Fehler des Parteigründers Bernd Lucke wiederholen wollen, die Partei ohne Mandate in Landtagen und Bundestag zu verlassen. Erst mit ausreichender Vertretung im Bundestag und mehreren Landtagen habe diese neue Partei eine Chance, sich in der Bundesrepublik zu etablieren. Geplant sei eine kalkulierte Spaltung nach der Wahl, so der AfD-Funktionär. Sowohl Petry als auch Pretzell wollten die Pläne auf Anfrage nicht kommentieren.

Auch der frühere Berater Petrys, der ehemalige "Focus"-Redakteur Michael Klonovsky, der kürzlich öffentlich mit dem AfD-Paar abrechnete, meint, beide betrieben Politik nur nach dem Freund-Feind-Schema: Wer nicht für sie sei, sei gegen sie.

Unter den Gegnern von Petry und Pretzell wird der Spaltungsplan bereits diskutiert. Arvid Samtleben, AfD-Mitglied aus Sachsen, postete vor einer Woche auf Facebook: "Bereitet Petry den Abgang vor? Seit einigen Stunden macht das Gerücht die Runde: Petry will zweite Fraktion in Berlin gründen." Ein AfD-Funktionär aus Nordrhein-Westfalen hat bereits errechnet: Petry würde im Fall einer Abspaltung nur rund ein Dutzend Abgeordnete folgen - zu wenig, um eine eigene Fraktion im Bundestag zu gründen.

Auf dem Parteitag in Köln will Petry ihre Realo-Linie durchsetzen, um "die emotional heimatlosen und immer noch konservativen Wähler gerade der CDU, aber auch die anderer Parteien" an die AfD zu binden; die Partei solle "perspektivisch Bereitschaft zur Koalitionsfähigkeit besitzen". In ihrer Videobotschaft am vergangenen Mittwoch, in der Frauke Petry den Verzicht auf ihre Spitzenkandidatur erklärte, warb sie weiterhin vehement für ihren Antrag - erklärte sich aber bereit, einzelne Formulierungen zu ändern.

Die Anträge der Gegenseite finden sich im 200-seitigen Antragsbuch zum Parteitag ganz hinten. So fordert erst der vorletzte Antrag des Buchs, dass der Parteitag dem Bundesvorstand die Weisung erteilt, "kein Parteiausschlussverfahren gegen Björn Höcke wegen der Dresden-Rede einzuleiten." In diesem Antrag aus Bremen heißt es: "Björn Höcke wird als eine herausragende Person des friedlichen politischen Widerstands gegen die herrschende Klasse in Berlin und Brüssel wahrgenommen und hat mit seiner akzentuierten Themensetzung Richtung wie Inhalt der politischen Aussagen unserer Partei vorgegeben und beeinflusst."

Ein Hindernis für Höckes Parteiausschluss sind auch die mit rechten Fundis besetzten Schiedsgerichte der Partei. So gilt sowohl das Landesschiedsgericht Thüringen als Höcke-freundlich als auch das Bundesschiedsgericht. Zweimal hat das Bundesschiedsgericht bereits Beschlüsse des Vorstands kassiert: Die Auflösung des Saar-Landesverbandes, dem Nähe zur NPD vorgeworfen wurde, und den Beschluss, dass AfD-Mitglieder nicht auf Pegida-Demonstrationen auftreten dürfen.

Im Bundesschiedsgericht der AfD sitzen unter anderem der Jurist Thomas Röckemann aus NRW und Thomas Seitz aus dem Schwarzwald; beide gelten als Petry-Gegner. Nun sollen in Köln drei neue Mitglieder für das Gremium und Ersatzrichter nachnominiert werden. Spannend dürfte der Parteitag allemal werden: Nach Ansicht von Beobachtern ist er in etwa in zwei gleich große Lager gespalten.

Der Autor Marcus Bensmann ist Redakteur des Recherchezentrums CORRRECTIV, mit dem unsere Zeitung kooperiert. CORRECTIV hat gerade ein "Schwarzbuch AfD" veröffentlicht, ist gemeinnützig und finanziert sich über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Weitere Informationen unter: http://correctiv.org

(RP)
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