Berlin Bundestag lässt sich bei Armenien nicht von Ankara einschüchtern

Berlin · Der Eklat war absehbar. Der Bundestag hatte der Armenien-Resolution gerade fast einstimmig zugestimmt, da sickerte durch, was die Türkei zuvor schon angedroht hatte: Der türkische Botschafter verließ Deutschland noch am gestrigen Nachmittag. Er sei zu Beratungsgesprächen nach Ankara eingeladen, hieß es.

Indem die Abgeordneten die Massaker an den Armeniern vor rund 100 Jahren fast einstimmig als Völkermord verurteilten, schickten sie mindestens zwei Signale in Richtung Türkei: Zum einen demonstrieren sie, dass sie sich nicht einschüchtern lassen, sei es durch politische Warnungen oder durch Hassmails im Internet, die vor allem türkischstämmige Abgeordnete in bisher unbekanntem Ausmaß erreicht haben. Zum anderen war bei allen Fraktionen das Bemühen erkennbar, es sich mit Erdogan nicht völlig zu verderben: Lob für die Flüchtlingspolitik der Türkei, Dank für die Aufnahme von Verfolgten des Nazi-Regimes und immer wieder das Eingeständnis der Mitschuld des Deutschen Reichs am Tod von 800.000 bis 1,5 Millionen Armeniern im Ersten Weltkrieg. Es war nicht die erste Reihe der deutschen Politik, die an diesem Tag im Reichstagsgebäude zum Rednerpult ging. Auf der Regierungsbank sind von den Ressortchefs nur Thomas de Maizière (Innen), Andrea Nahles (Soziales) und Hermann Gröhe (Gesundheit) erschienen, dazu Kanzleramtsminister Peter Altmaier. Das Wort ergreift keiner von ihnen. Kanzlerin Angela Merkel plaudert zeitgleich bei einem Kongress zur digitalen Bildung über ihr Physikstudium. Dennoch ist im Bundestag eine gewisse Erleichterung zu spüren, dass das heikle Thema nun endlich angegangen wird, das seit einem Jahr anhaltende Gezerre ein Ende hat. "Irgendwann muss man es machen", sagt CDU-Außenpolitiker Franz Josef Jung. Wenn auch der Zeitpunkt eher unglücklich war. Denn das EU-Türkei-Abkommen zur Flüchtlingskrise steht auf der Kippe, Kritiker Merkels werfen ihr vor, sich bei Erdogan angebiedert zu haben.

Im April 2015, als an den 100. Jahrestag der Verfolgung und Ermordung der Armenier erinnert wurde, konnten sich weder Regierung noch Parlament zu klaren Worten durchringen. Außenminister Steinmeier meinte damals, die Gräuel der Vergangenheit "lassen sich nicht auf einen Begriff reduzieren". Erst Bundespräsident Joachim Gauck und Bundestagspräsident Norbert Lammert brachten die Debatte voran, als sie den Begriff Völkermord demonstrativ benutzten.

Damals brachte Gauck auch die Formulierung ins Gespräch, die sich in der jetzt verabschiedeten Resolution wiederfindet: Das Schicksal der Armenier stehe "beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist".

Die Linke hätte sich deutlichere Worte gewünscht. In ihrem Alternativantrag "bewertet" der Bundestag die Massaker in eigener Einschätzung als Völkermord. Am Ende stimmte auch die Linksfraktion dem Antrag von Union, SPD und Grünen zu. Gysi macht allerdings Unions-Fraktionschef Volker Kauder noch schnell den Vorwurf, er habe die Oppositionspartei gar nicht einbeziehen wollen.

(RP)
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