Analyse Britisches Europa

Brüssel · Der No-Brexit-Deal steht für mehr Markt und weniger Union. Das wollen andere auch.

Die EU will Großbritannien weitere Sonderregelungen zugestehen, um einen Brexit zu verhindern. Diese sollen es Premier David Cameron ermöglichen, vor dem anstehenden Referendum für den Verbleib in der EU zu werben. Der Vorschlag von EU-Ratspräsident Donald Tusk versucht den Spagat: Londons Reformvorschläge sollen berücksichtigt werden, ohne die Errungenschaften des Einigungswerks zu beschädigen. Auf dem Papier ist die Balance gelungen. Die Rechte der nationalen Parlamente sollen gestärkt, aber nicht zu einem Veto ausgebaut werden. Sozialleistungen für EU-Ausländer dürften eingeschränkt werden - aber nur wenn die Brüsseler Kommission außergewöhnliche Umstände attestiert. Die britische Regierung müsste weiter Kindergeld an deren Nachwuchs im Heimatland zahlen, könnte es jedoch an niedrigere Lebenshaltungskosten anpassen.

Das politische Signal ist ein anderes: Dass Großbritannien nicht länger auf eine "immer engere Union" verpflichtet und die Gemeinschaft mehrerer Währungen ausgerufen wird, markiert den Übergang vom Europa verschiedener Geschwindigkeiten, das es mit Euro-Zone oder Schengen-Raum längst gibt, zum Europa der Stoppschilder. Der Kreis derer wird kleiner, die auf dem Fahrrad der europäischen Integration strampeln, damit es nicht umfällt. Die anderen Regierungschefs dürften Camerons Credo akzeptieren, da sie die außenpolitische und wirtschaftliche Kraft des Königreichs nicht missen mögen.

Nicht dass es unredlich von Cameron gewesen wäre, harte Reformen zu fordern. Das Problem ist, dass andere EU-Mitglieder keine konkreten Ideen entwickelt haben, wie er die Zukunft meistern kann. Nun müssen sie auf Camerons erpresserisch-despektierlichen Ton eingehen, der das Bild vom gefräßigen Monster Brüssel nährt, dem es etwas abzutrotzen gilt. Jenen, die mehr nationale Lösungen für internationale Probleme propagieren, gibt dieser No-Brexit-Deal Auftrieb - unabhängig davon, ob ihn die britischen Wähler am Ende gutheißen oder doch Nein zur Union sagen. Wer gesehen hat, dass es möglich ist, europäisch auf die Bremse zu treten, wird noch eher den Rückwärtsgang eingelegen. Die Gemeinschaft wird noch mehr auf Wettbewerb, Freihandel und den Binnenmarkt setzen, weniger von politischer oder sozialer Union halten und Entbürokratisierung gern mal mit dem Abbau von Arbeits- oder Umweltstandards verwechseln. Die Richtungsentscheidung für ein britischeres Europa scheint gefallen.

(RP)
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