Der Brexit und die Folgen Angela Merkel - die Herrscherin von Rest-Europa

Berlin · Zwischen Europa und Großbritannien droht in Folge des Brexits eine Art Rosenkrieg, die beiden Seiten mächtig zusetzen würde. Die deutsche Kanzlerin wird dies kaum aufhalten können.

 Angela Merkel als Herrscherin über Rest-Europa.

Angela Merkel als Herrscherin über Rest-Europa.

Foto: Radowski

Merkel gilt seit je her als gute Krisenmanagerin. Genau genommen fußt ihre steile Karriere darauf, dass sie Ende der 90er Jahre aus den Trümmern der CDU ihre Machtbasis baute. Sie verliert auch nicht schnell die Zuversicht. Und über ihren Geduldsfaden sagte ein führender SPD-Politiker vor einigen Wochen halb voll Neid und halb voll Resignation: Der kann nicht reißen.

Doch der Brexit, der die EU in seiner Existenz in Frage stellt, setzt der Kanzlerin zu wie wenig sonst in ihrer nicht gerade krisenfreien Amtszeit. Das konnte man schon am Freitag bei ihrer kurzen ersten Erklärung sehen und hören. Blass und in nüchternem Ton mahnte sie zur Ruhe und Besonnenheit, während die Sozialdemokraten schon ihre ersten Punkte-Pläne vorlegten. Da wusste sie: Die nächsten Tage, Wochen, Monate werden wieder zu einem Kampf gegen Krisen an vielen Fronten.

Merkel steht vor einer "historischen Aufgabe"

Die Erwartungen an die deutsche Kanzlerin sind enorm. Der amerikanische Historiker Steven Hill sprach von Merkel schon als der "De-Facto-Premierministerin Europas". Sein Kollege Nicholas Burns sieht Merkel vor einer "historischen Aufgabe".

Der Kanzlerin ist die Last anzumerken. Auch am Samstagmittag nach der Unionsklausur in Potsdam wirkte sie abwesend, während sie und Seehofer glaubhaft zu machen versuchten, dass sie sich jetzt wieder vertragen. Dabei zeigte sie kein Lächeln, machte keine Scherze wie sonst. Das mag an der fortbestehenden Distanz zum CSU-Chef liegen, der sie in der Flüchtlingskrise öffentlich mehrfach demütigte. Ihr entrückt wirkender Auftritt war wohl eher der Sorge um die Zukunft Europas geschuldet, weswegen sie auch bei der Pressekonferenz den Versuch unternahm, schon zu gehen, während Seehofer noch eine Frage beantworten wollte. Mürrisch setzte sie sich wieder hin und hörte dem CSU-Chef noch für einen Moment zu.

In vielen Worten sagte Seehofer noch einmal das, was Merkel zuvor kurz beantwortet hatte: Die Unionsparteien sind sich einig, dass das Brexit-Votum der Briten nicht dazu führen muss, sie nun so schnell wie möglich aus der EU hinaus zu komplimentieren. "Ehrlich gesagt, soll es nicht ewig dauern (...), aber ich würde mich jetzt auch nicht wegen einer kurzen Zeit verkämpfen", sagte Merkel. Sie betonte auch, die Traurigkeit über den Brexit sei kein Grund, bei den Verhandlungen "in irgendeiner Weise jetzt besonders garstig zu sein".

Der Doppelschlag der SPD

In dieser Frage bahnt sich ein ernsthafter Konflikt mit den Sozialdemokraten an, die in den 24 Stunden nach der Brexit-Entscheidung gleich zu einem Doppelschlag der Punkte-Pläne ausholten. Am Freitag veröffentlichten SPD-Chef Sigmar Gabriel und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz unter der Überschrift "Europa neu gründen" einen Plan, in dem sie unter anderem fordern, die EU solle sich nicht in Dinge einmischen, "die regional oder national gut funktionieren".

Ähnlich klingt das auch in dem Papier, an dem Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Amtskollege Jean-Marc Ayrault seit April arbeiteten. Die EU müsse sich auf die Herausforderungen konzentrieren, die nur durch gemeinsame europäische Antworten bewältigt werden könnten, "und alle anderen Themen nationalen oder regionalen Entscheidungsprozessen überlassen", heißt es in dem zehnseitigen Papier. Beide Papiere, weder das von Schulz und Gabriel noch das von Steinmeier und seinem französischen Kollegen, waren mit dem Kanzleramt abgestimmt. Da deutet sich an: Der Brexit und die neue Europa-Politik werden Teil des Wahlkampfs 2017.

Auch Steinmeiers Treffen am Samstag mit den Außenministern der EU-Gründer-Länder Frankreich, Italien, Luxemburg, Belgien und Niederlande läuft Merkels Strategie zuwider. Die Außenminister sendeten das Signal, Die Briten mögen einem Neuanfang der EU nun nicht länger im Wege stehen und forderten dazu auf, den Austritt rasch zu vollziehen.

Merkel will alle 27 einbinden

Merkel hingegen mahnt nicht nur zur Besonnenheit, sondern möchte vor allem auch die übrigen 27 einbinden, wenn es um die Zukunft Europas geht. Das sagte sie am Freitag in ihrer öffentlichen Stellungnahme, erläuterte es mittags in der Fraktion noch einmal und wird es wahrscheinlich auch in ihrer Regierungserklärung am Dienstag im Bundestag herausstellen. Sie selbst hat für heute erst den Europäischen Ratspräsidenten Donald Tusk und anschließend den französischen Präsidenten Francois Hollande und den italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi eingeladen.

Mit dem Polen Tusk wird sie die Strategie für den Europäischen Rat am Dienstag und Mittwoch in Brüssel besprechen müssen. Inzwischen haben zahlreiche Länder signalisiert, dass sie nun auch einen raschen Austritt Großbritanniens wünschen und den Einfluss der Briten in der EU zurückdrängen wollen. Merkel hingegen hat auch die künftigen Beziehungen der EU mit dem ökonomisch so eng verbundenen Königreich im Blick. In der aufgeladenen Stimmung zwischen Großbritannien und dem Kontinent besteht die Gefahr, dass der Trennungsprozess zu einem Rosenkrieg wird.

Eine solche Auseinandersetzung könnte die ökonomischen Folgen des Brexits verschlimmern und das künftige Verhältnis zwischen England und der EU verkomplizieren. Zudem verliert Europa mit jedem weiteren Zwist an Macht und Ansehen in der Welt. Daher warnt Merkel so nachdrücklich vor schnellen Schritten. Für den pädagogischen Zweck, die Briten zum abschreckenden Beispiel zu machen, um andere EU-Mitglieder vom Verlassen der Gemeinschaft abzuhalten, hält die Kanzlerin nichts. "Die Frage von Abschreckung finde ich in diesem Zusammenhang eigentlich falsch", sagte Merkel am Samstag.

Die Binsenweisheit: Europa war immer stark, wenn Berlin und Paris an einem Strang ziehen

Zu den Binsenweisheiten der europäischen Einigung gehört, dass Europa immer dann stark war, wenn Deutschland und Frankreich an einem Strang zogen. Dessen werden sich Hollande und Merkel vergewissern müssen, wenn sie heute am späten Nachmittag auch noch mit dem italienischen Regierungschef Renzi zusammentreffen. Wobei sie sich eigentlich auch ein Versagen eingestehen müssen. Den Brexit-Populisten hatten sie keine positive Erzählung Europas entgegenzusetzen.

Die deutsch-französischen Gemeinsamkeiten waren in den letzten Jahren rar gesät. In der Euro-Krise stand das ökonomisch angeschlagene Frankreich eher auf der Seite der hoch verschuldeten Südländer. In der Flüchtlingskrise drückten sich die Franzosen mit Hinweis auf Terror und Wirtschaftskrise davor, in relevanter Zahl Menschen aufzunehmen. Emotional aber hat der Terror und der Kampf gegen die selbst ernannten Gotteskrieger Deutschland und Frankreich wieder zusammengebracht. In den schweren Stunden nach den Anschlägen in Frankreich unterstrichen beide Länder, dass ihre Werte sie verbinde. Die Wertegemeinschaft könnte auch der Antrieb sein, die Rettung der EU mit vereinten Kräften anzupacken.

Deutschland, Frankreich und Italien werden nach ihrem Treffen auch ein Signal an den Rest Europas senden müssen, dass die Neufindung und die Reform Europas ein Projekt aller werden muss.

(qua)
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