Persönlich Boris Palmer . . . ärgert wieder seine Grünen

Um zu verstehen, welchen Aufruhr der grüne Bürgermeister Tübingens mit seinen Äußerungen zur Flüchtlingspolitik in seiner Partei ausgelöst hat, muss man in den Sommer 2015 zurückblicken. Damals hatte die Grünen-Führung die Einstufung selbst der Balkan-Staaten als "sicherer Herkunftsländer" abgelehnt. Immerhin würden dort Sinti und Roma unterdrückt. Das Instrument also, mit dem die Regierung Staaten definiert, in denen "weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung" stattfindet, um abgelehnte Asylbewerber schneller dorthin zurückschicken zu können, ist bei den Grünen ein rotes Tuch. Das humanitäre Asylrecht gehört zu ihrer Parteiidentität wie einst die Anti-Atomkraft-Bewegung. Wenn sich Palmer nun für eine Abschiebung gewaltbereiter Flüchtlinge nach Syrien ausspricht - es gebe auch in Syrien Gebiete, die nicht im Krieg stehen, so Palmer -, dann ist das ein Frontalangriff auf die Partei. "Klassischer Palmer-Nonsens", polterte die entrüstete Parteichefin Simone Peter. Die SPD witzelte über den "Donald Trump der Grünen". Palmer dürfte das nicht schrecken. Der 44-Jährige versteht sich als pragmatischer Kommunalpolitiker, der den naiven Illusionisten im Berliner Raumschiff die Mühen des Alltags erklären muss. Grenzen sichern, Flüchtlingszahlen begrenzen, ist sein Credo. "Wir schaffen das nicht", hat er 2015 gesagt. Sein Vorbild ist der Stuttgarter Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ebenfalls ein Grüner mit bürgerlich-konservativem Einschlag. Der Simone-Peter- Claudia-Roth-Flügel ist ihnen fremd.

In Tübingen ist der Einser-Abiturient und Geschichtslehrer unangefochten: 2014 wurde Palmer mit 62 Prozent als Oberbürgermeister wiedergewählt. Als Ober-Realo hat er nun auch ein Zeichen zur Bundestagswahl gesetzt. Der grüne Richtungskampf hat begonnen.

Michael Bröcker

(RP)
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