Blond, blauäugig, eiskalt

Anders Breivik fühlte sich im Krieg gegen ein "System", das er zutiefst hasste. Er galt als intelligent und gebildet. Trotzdem bastelte er sich erst eine obskure Ideologie zusammen, dann eine Bombe.

Oslo/Düsseldorf Es ist, als ob dieser junge Mann viele Gesichter gehabt hätte. Seine Nachbarn beschreiben ihn als still, aber höflich und sympathisch. Ein ehemaliger Klassenkamerad erinnert sich daran, dass er den Schwachen half. Er war ein guter Schüler, besuchte das Handelsgymnasium in Oslo, galt als belesen und intelligent. Nur wer im Internet stöberte, konnte einen anderen Anders Behring Breivik erleben.

In der virtuellen Welt der sozialen Netzwerke und Foren mochte man erahnen, was wirklich im Inneren des netten jungen Mannes vorging, der eine Gemüsegärtnerei in einer beschaulichen Kleinstadt betrieb und ein kleines Appartement in Oslo bewohnte. Da finden sich Einträge auf christlich-fundamentalistischen und islamkritischen Websites, auf denen Breivik in durchaus gewählter Sprache seine Abscheu gegenüber den von ihm so bezeichneten "Multikulturalisten" ausdrückt. Es ist ein Krieg der Kulturen, den der junge Norweger da beschwört, ein Kreuzzug gegen jene, die seiner Ansicht nach eine "anti-europäische Hassideologie" vertreten, mit dem Ziel, das Christentum, die abendländische Kultur und die Nationalstaaten zu zerstören.

Allerdings: Zur physischen Gewalt ruft Breivik an keiner Stelle ausdrücklich auf. Womöglich ein Grund, warum er den norwegischen Sicherheitsbehörden, die durchaus ein Auge auf die rechtsextreme Szene in dem skandinavischen Land haben, nicht aufgefallen ist. Spinner gibt es im Internet schließlich mehr als genug. "Er kam aus dem Nichts", meinte einer der Fahnder hilflos.

Die Persönlichkeit des Täters verstört selbst hartgesottene Polizisten. Als "eiskalt" beschreibt ihn einer. Breivik war zwar mehrere Jahre Mitglied der rechtspopulistischen Fortschrittspartei gewesen, gehörte aber offenbar keiner der bekannten rechtsextremen Bewegungen Norwegens an und hatte in seiner Polizeiakte nur Einträge wegen kleinerer Ordnungswidrigkeiten.

Erst wenige Minuten bevor Breivik aufbrach, um ein Blutbad anzurichten, deckte er seine Karten auf. Unter dem Titel "Eine europäische Unabhängigkeitserklärung" verschickte er ein 1516 Seiten starkes Manifest an 7000 Facebook-Kontakte. Darin heißt es, es sei an der Zeit, "bewaffneten Widerstand gegen die marxistisch-multikulturalistischen Regimes in Westeuropa" zu leisten. "Die Zeit für den Dialog ist vorbei. Wir haben dem Frieden eine Chance gegeben", schwadroniert Breivik, der sich an einer Stelle als "Tempelritter" bezeichnet. Seine Attentatspläne habe er selbst vor Freunden geheim gehalten, behauptet er. Jenseits der in dem Text verbreiteten obskuren Ideologie könnte der Ursprung einzelner Textpassagen einen weiteren Hinweis auf das Täterprofil Breiviks geben: Nach Meldungen norwegischer Medien hatte sich der junge Mann beim Verfassen seines Pamphlets offenbar ausgiebig im Manifest des "Unabombers" bedient. So war bis zu seiner Festnahme 1995 ein mysteriöser Bombenleger bezeichnet worden, der die USA jahrelang in Angst und Schrecken versetzte hatte. Dahinter steckte der Mathematiker Theodore Kaczynski, der zwischen 1978 und 1995 insgesamt 16 Briefbomben vorwiegend an Universitätsprofessoren und Vorstandsmitglieder von Fluggesellschaften verschickt hatte. Die Anschlagsserie forderte drei Todesopfer und 23 Verletzte. Kurz vor seiner Festnahme hatte Kaczynski ebenfalls ein langes, zivilisationskritisches Manifest verschickt, um seine Taten zu rechtfertigen.

Die methodische Vorgehensweise Breiviks, der das Doppelattentat eigenen Angaben zufolge neun Jahre lang vorbereitet hatte, erinnert außerdem an das "Oklahoma-City-Attentat" vor 16 Jahren. Damals hatte der amerikanische Rechtsextreme Timothy McVeigh eine in einem Lastwagen deponierte Bombe vor einem Regierungsgebäude der Hauptstadt des US-Bundesstaats Oklahoma zur Explosion gebracht. Dabei kamen 168 Menschen ums Leben. Auch McVeigh motivierte ein tiefer Hass auf die Regierung, die er für den angeblichen Verfall des Landes verantwortlich machte. Seit seiner Hinrichtung 2001 gilt McVeigh in rechtsextremistischen Kreisen als Märtyrer.

Auch Breivik hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass ihm die sozialdemokratische Regierung Norwegens zuwider war, ebenso wie die "Stoltenberg-Jugend", jene jugendlichen Anhänger der Arbeiterpartei des Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg, deren Sommer-Camp auf der Insel Utoya er überfiel.Die Arbeiterpartei verrate das norwegische Volk und verkaufe das Land an die Muslime, hatte Breivik in einem Internet-Forum geschrieben.

Es ist kein Geheimnis, dass die in ganz Skandinavien seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs politisch dominierenden Sozialdemokraten in ultra-rechten Kreisen als Inbegriff eines libertären Staates verhasst sind. Manchmal verhasst bis auf den Tod. Die Morde am schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme 1986 oder an der schwedischen Außenministerin Anna Lindh 2003 können als Ausdruck dieses Hasses gesehenwerden.

(RP)
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