Kolumne: Berliner Republik Blumen auf Guido Westerwelles Grab

Deutschland schuldet dem früheren Außenminister noch einen späten Dank. Denn Guido Westerwelle verweigerte einer militärischen Intervention in Libyen einst seine Zustimmung. Hätte er sich durchsetzen können, würde dort nicht die nächste Flüchtlingskatastrophe drohen.

Vergangene Woche gab es wieder dramatische Bilder von der Küste Libyens. Fast 5000 Flüchtlinge wurden an einem Tag aus Seenot gerettet, eine junge Mutter gebar kurz nach der Rettung noch auf See Zwillinge, die Wehen hatten unter den Strapazen früher eingesetzt. Libyen, das ist das neue Syrien. Von dort kommen sehr viele Flüchtlinge, dort tobt ein unentwirrbarer Bürgerkrieg - im medialen Schatten des Assad-Reiches.

In Libyen passierte, was so oft im Nahen Osten geschieht. Das Muster ist immer das Gleiche: Ein Diktator unterdrückt sein Volk, es beginnt in dem Land zu brodeln. Der Westen greift ein, der Diktator ist irgendwann weg. Das Brodeln geht erst richtig los. Und ist von nichts und niemandem mehr unter Kontrolle zu kriegen - wie bei einem großen Störfall in einem Kernkraftwerk.

Das Verhängnis in Libyen nahm im Frühjahr 2011 seinen Lauf. Diktator Muammar al Gaddafi hatte das Land seit Jahrzehnten unter Kontrolle, aber zu einem enormen Preis, den die Bevölkerung zu zahlen hatte. Seine Herrschaft wurde zunehmend erratischer und despotischer, ein Bürgerkrieg zog auf. Der französische Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy wollte Stärke zeigen, nicht zuletzt um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Die USA, angeführt von Barack Obama, willigten in einen Einsatz ein.

Eine Entscheidung im UN-Sicherheitsrat stand an, dem Deutschland zu jener Zeit turnusmäßig angehörte. Und der damalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle wies den deutschen Botschafter in einer spektakulären Aktion an, sich zu enthalten.

Wie war die Empörung groß! Joschka Fischer, ewiger Antipode Westerwelles, dessen Vorgänger als Außenminister und selbsternannter Weltgeist, erkannte in der Aktion "das vielleicht größte Debakel seit Gründung der Bundesrepublik". Das gesamte außenpolitische Kommentariat Deutschlands und der Welt fiel über den damaligen FDP-Chef her. Die Causa war das letzte Senkblei, das es noch brauchte, um ihn um den Parteivorsitz zu bringen.

Westerwelle, der vor einem halben Jahr gestorben ist, war im Kern ein sensibler Mann, auch wenn er hart austeilen konnte. Weil das auch seine politischen Gegner wussten, zollten ihm nach seinem frühen Tod auch alle Respekt. Denn obgleich er einer war, den andere einen kalten Neoliberalen schimpften, hatte Westerwelle ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, auch in eigener Sache.

Heute, fünf Jahre nach Westerwelles Libyen-Entscheidung und nach seinem viel zu frühen Tod, ist es Zeit, ihm für diese Aktion einen Blumenstrauß aufs Grab zu legen. Während Altkanzler Gerhard Schröder für sein Nein zum Irakkrieg nach viel Schelte noch in den Genuss der Genugtuung kam, blieb Westerwelle diese späte Gerechtigkeit zu Lebzeiten versagt.

Deshalb, posthum: Danke, Guido Westerwelle. Sie haben mutig und richtig gehandelt. Auch wenn das seinerzeit keiner wahrhaben wollte.

Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des Magazins "Cicero" und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperation. Ihre Meinung? Schreiben Sie dem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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